Tag Archives

3 Articles

Taxi/Ulica

Eine Kränkung

Posted by Sascha Preiß on

Sehr spät nachts oder sehr früh morgens, je nach Blickwinkel, musste er von seiner Wohnung am Stadtrand zum Flughafen. Das Flugzeug ging um 5 Uhr und das eigene Auto dort eine Woche stehen lassen, kam nicht in Frage, seine Frau brauchte es für den Kinderschultransport. Die großen Taxiunternehmen arbeiten rund um die Uhr, haben keine erhöhten Nachttarife und sind auch sonst recht zuverlässig. Die Frau am Telefon in der Zentrale kannte seine Handynummer und seine Adresse, wollte nur wissen, wohin es ging. Der Rückruf, dass das Taxi eingetroffen sei, erfolgte schnell. Inzwischen werden auch SMS versandt mit den Informationen Autotyp, Kennzeichen, Fahrpreis. In seinem Fall handelte es sich um ein weißes Auto, das Kennzeichen begann mit einer 5 oder so. An der Einfahrt warteten zwei Taxen, weiß, ähnliche Nummern. Ein unverhältnismäßiger Zufall, er stieg ins falsche. Nach einiger Zeit ein erneuter Rückruf aus der Zentrale, ob er nun endlich mal einzusteigen gedenke. Er war aber bereits am Flughafen, entdeckte den Irrtum. Der Frau im Hörer war nicht nach Verständnis zumute, begann eine beleidigte Kaskade über Nachtarbeit, Schwierigkeiten bei der Suche nach vertrauenswürdigen Taxifahrern, Gleichgültigkeit der Kunden, finanzielle Folgen. Er versuchte eine Erläuterung, sie steigerte sich in Vorwürfe, brüllte in den Hörer, fluchte, erklärte ihn zur Unperson und fällte das Urteil: Wir werden Sie nicht mehr bedienen! Das war ihm egal, es gab genügend andere Unternehmen, nur der Furor der Verletzung erstaunte ihn.

Interkultur

Getarnte Fremde

Posted by Sascha Preiß on

Ausländer sind in Russland schnell als Ausländer bzw Nicht-Russen erkannt. Ob der Taxifahrer annimmt, man komme des Akzentes wegen sicherlich aus Jugoslawien, oder die Kellnerin vermutet, man müsse mindestens aus Tschechien wenn nicht sogar Polen kommen, man habe so ein unverkennbar polnisches Gesicht, ist eigentlich unerheblich. Man ist Ausländer. Wenn man dann antwortet, man sei in Wahrheit in Deutschland gebürtig, wird mancher verwundert, mit dem Lächeln des Bedauerns oder fassungslos hysterisch fragen, was einen als Deutscher denn nun ausgerechnet hierher verschlagen habe. Es kann sogar vorkommen, dass man gefragt wird, ob ein Foto aufgenommen werden könne, weil man für den Fragenden die erste leibhaftige Begegnung mit einem Ausländer darstellt. So z.B. ein jugendlicher Mitarbeiter in einem kleinen Handyladen im Irkutsker Stadtzentrum. (Sein Kollege winkte jedoch ab, er sei aus Vladivostok und dort so vielen Ausländern begegnet, das würde überbewertet. So blieben wir ungeknipst.) Viele Möglichkeiten der Tarnung indes hat man nicht. Ein neues Handy mit viel bunt und Kram ist aber ein guter Anfang. Als wir aus dem Laden wieder heraustraten, sagte eine russische Freundin: Deutsche in Sibirien erkenne man stets an ihren uralten, spartanischen Mobiltelefonen, jetzt, da ich ein neues habe, sei es bedeutend schwerer, mich als Ausländer auszumachen. Dann lachten wir.

Irkutsk/minimal stories/Russland

minimal story 9

Posted by Sascha Preiß on

Während des Gesprächs klingelt ein Telefon, von den drei auf dem Tisch liegenden gehört Igor das läutende. Ein seriös geführtes Telefonat, es geht um die Aufführung, die er für die Weihnachtszeit vorbereitet. Eine Geschichte mit Djed Moroz, Väterchen Frost, dem russischen Weihnachtsmann, und Snjegurotschka, dem Schneeflöckchen, seiner weiblichen Begleitung, dazu Winnie Pooh und eine ganze Reihe anderer Figuren aus allerlei russischen Märchen (ja, Winnie Pooh zählt auch dazu, denn es existiert eine außerordentlich populäre sowjetische Kopie, Винни-Пух), eine Aufführung für Kinder sei das, aber auch für Erwachsene. Diese Veranstaltung, erzählt er nachher, ist sogar schon von einem Freund für ein Gastspiel in Moskau gebucht. Als das Telefonat zu Ende ist, lacht Igor plötzlich laut los. Das wäre ein sehr russischer Anrufer gewesen. „Ich habe ihm alles zu unserer Aufführung gesagt, er fand das gut und wollte das für sich zu Hause haben. Und er wollte wissen, ob wir dazu auch einen Striptease anbieten.“