zum Ukraine-Konflikt
ein paar kurze Notizen zum Ukraine-Konflikt und der drohenden Invasion Russlands.
Was konkret passiert und welche Szenarien möglich sind, hat Sarah Pagung im ZDF kurz zusammengefasst: die Szenarien geben kaum Anlass zu irgendeinem Optimismus. Die ersten Sanktionen durch die EU gegen die international agierende Söldner der Wagner-Gruppe sind nun in Kraft getreten. Das Kernproblem der russischen Haltung, die Osterweiterung der NATO, insbesondere auf die Ukraine und Georgien bezogen, auch wenn deren Beitritt in absehbarer Zeit unrealistisch ist, ist der als Bedrohung aufgefasste Eintritt des Westens in die ökonomische und ideologische Hoheitssphäre Russlands, ganz unabhängig davon, dass die Ukraine und Georgien souveräne Staaten sind. Russland verlangt vom Westen gegenüber dieser Hoheitssphäre „Sicherheitsgarantien“ bzw sofortige Verhandlungen darüber. Es ist offensichtlich, dass es sich um die fortgesetzte Wiederaneignung von Kolonialgebieten geht, die mit dem Zerfall der Sowjetunion vor 30 Jahren – nach Putin bekanntlich die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts – verloren wurden. Mit dem Krieg in Südossetien 2008 und der Krim-Annektion mit zeitgleichem Separationskrieg in der Ostukraine hat Russland klar gestellt, dass es die beiden Staaten nicht als souverän sondern als dem Hegemon zur Verfügung stehende Verhandlungsmasse betrachtet. Das ist insbesondere für die Ukraine ein deja-vu an die im Westen weitgehend übersehene Hungersnot Holodomor Anfang der 1930er Jahre, da Stalin in der Frühphase der Sowjetunion Unabhängigkeitsbestrebungen der Ukraine unterdrückte. Der ungeliebte NATO-Beitritt ist daher nur eine Umkehrung der russischen Verlustangst: nicht der Westen bedroht Russland, sondern Russland verliert maximal an Bedeutung und Einfluss und Selbstwert. Und es droht sich selbst mit dem Verlust eines wesentlichen Absatzmarktes.
In diesem Zusammenhang ist auch das Veto gegen die UN-Klimawandel-Resolution zu sehen, die Resolution benennt klar die Baustellen und Schwierigkeiten sowohl wirtschaftlich als auch politisch, für die Russland absolut keine Lösungsvorschläge hat: Russland hat außer Rüstung und fossile Energie auf dem Weltmarkt nichts anzubieten. Die Globalisierung hat Russland in seinen 1990er Jahren ökonomisch verpasst und der politische Bruch mit dem Westen nach dessen völkerrechtswidrigem Kosovokrieg wurde von Putin weiter vorangetrieben, ohne dass das Land zu nachhaltiger wirtschaftlicher Prosperität und Eigenständigkeit gekommen wäre. Die Wirtschaft ist nach wie vor von Öl und Gas abhängig, eine weltwirtschaftliche Bedeutung wie noch im vorigen Jahrhundert und wie sie heute China hat, ist unerreichbar. Der zu erwartende internationale (viel zu langsame) ökologische Wandel weg von fossiler Energiegewinnung und der gleichzeitige (viel zu schnelle) Klimawandel bedrohen daher Russlands Ökonomie in den kommenden Jahren massiv: zu erwartender Einnahmenverlust durch sinkende Energieexporte, fehlende Modernisierung in Wissenschaft und Forschung, jährliche Waldbrände, das Auftauen des Permafrostbodens, die Großteils veraltete Infrastruktur der sowieso schon kaum zu bewältigenden Inlandslogistik zum Waren- und Informationstransport, hinzukommend zur politischen Autokratie und gewaltige Korruption, eine marginalsierte und maximal bedrohte unabhängige Meinungsäußerung – all dies führt Russland in den kommenden Jahrzehnten in einen ideologischen und ökonomischen Bankrott, sollte nicht grundsätzlich gegengesteuert werden. Doch das steht kaum zu erwarten. Es ist eher wahrscheinlich, dass die Drohgebärden Russlands nach außen und die Repressionen nach innen weiter zunehmen werden und das Land nach dem kaum absehbaren Ende der Herrschaft Putins in einem desolaten Zustand hinterlässt. Die eigentliche Frage, die sich stellt ist: Welches langfristige Entwicklungsziel verfolgt die russische Politik, sofern sie eines hat außer dem der Selbsterhaltung und ihrem Destruktivismus?
Russische Politik unter Putin ist neokolonial, nationalistisch und nihilistisch. Sie leistet keinen einzigen konstruktiven Beitrag, kennt nur das Destruktive als Mittel der Machtwahrung.
Update 17.12.21: Die russischen Forderungen an die NATO stellen klar, dass Putins Russland die postsowjetischen Staaten und assoziiert auch auch Staaten des ehemaligen Warschauer Paktes nicht als souveräne Staaten betrachtet. Mit Ukraine und Georgien wird gar nicht erst gesprochen, und die Osterweiterung soll vollständig zurückgedrängt werden. Was auch immer man von der NATO hält – und ich habe überhaupt keine Sympatien für dieses transatlantische Militärbündnis, das autonom von der Weltgemeinschaft agiert – Russland aber hat kein Interesse an Ausgleich, Frieden und Stabilität, sondern an einer neosowjetischen Realität.
Update 25.01.22: Die Journalistin Catherine Belton beschreibt die Situation ganz ähnlich, Russland habe nichts anzubieten jenseits einer „mythischen Konfrontations mit dem Westen“. Als Reaktion bliebe nur eine europäische Geschlossenheit, die jedoch von Deutschland – Gazprom-Verträge, Exkanzler Schröder, NordStream 2 – immer wieder aktiv unterlaufen wird. Zudem müsste sich Europa auch kurzfristig von russischem Gas befreien, da das System Putin ganz wesentlich von den Öl/Gas-Einnahmen lebt: „Bleiben dem Putin-Regime jedoch die Einkünfte aus dem Energiegeschäft, die ja zurzeit sehr groß sind, kann es seine Macht für viele, viele vor uns liegende Jahre erhalten. Das Geld, das dann weiter reinkommt, reicht zwar nicht aus, um die russische Wirtschaftskraft zu erhöhen, aber mindestens, um allen ein Einkommen zu sichern, die auf den Staatshaushalt angewiesen sind: der öffentliche Dienst, Lehrer, Rentner und so weiter. Das reicht, um sich weiter an der Macht festzuhalten.“ Leider wird das die Perspektive bleiben.
Zusatz 10.02.2022: Lesens- und hörenswerter Hintergrund-Beitrag im Deutschlandfunk zum Thema Waffenlieferungen an die Ukraine und Umgang mit Russland als mafiöser Staat.