Monthly Archives

3 Articles

Ästhetik/Das Wetter/Statistik/Ulica

Da kriegst die Motten

Posted by Sascha Preiß on

Schmetterlinge sind eine feine Sache. Wenigstens solange sie das tun, was man von diesen Viechern erwartet: möglichst bunt durch sommerliche Gegenden flattern und sich von Sammlern in Styropor-Glas-Vitrinen aufnadeln lassen. Dann gibt es aber leider auch noch Schmetterlinge, die irgendwie anders drauf sind und Ärger in der urbanen Botanik verbreiten. Seit Jahren schlägt man sich z.B. in Europa mit Miniermotten herum, welche vorrangig die erhabenen Rosskastanien zu unansehnlichen Greisen zerfressen. Zur Behandlung der kranken Bäume gehen Natur und Chemieindustrie eine ganz ansehnliche Symbiose ein (Sexuallockstoffe!), dass man glauben mag, der unansehnliche Falter möge sich eines Tages doch verpisst haben.

Vor einem ähnlichen Problem steht nun auf einmal Irkutsk: zum Auftakt der Tourismus-Saison spinnen irgendwelche dämlichen Schmetterlingsinsekten in der Stadt herum, im wahrsten Wortsinn.

Inwieweit sich die Irkutsker Stadtverwaltung mit subtil-biologischer Schmetterlings-bekämpfung beschäftigen wird, lässt sich zweifelsfrei erahnen: Für die Behandlung von ca 40.000 von Gespinstmotten befallenen Bäumen (Stand: 15.06.) stehen 700.000 Rubel zur Verfügung, ca. 17.500 Euro. Da es der mit der Behandlung beauftragte Dmitri Kakunin als stellvertretender Vorsitzender der Abteilung für Straßenbau und Transportwesen der Stadtverwaltung nicht so genau nimmt mit der biologischen Klassifizierung des Übeltäters – der Artikel spricht von Läusen, wobei das Krankheitsbild der vorrangig befallenen Apfelbäume sehr augenscheinlich nicht auf Läuse hindeutet -, wird sich wohl auch die Wahl der Bekämpfung auf entsprechend gezielte Maßnahmen beschränken: Chemie ist vergleichsweise effektiv, zudem schnell und billig. Und noch billigere Gastarbeiter erledigen eifrig alles, womit sich sonst niemand die Bronchien versauen möchte. Wie genau die Behandlung der massiv befallenen Bäume aussehen wird, ist aber noch längst nicht entschieden, für Sofortmaßnahmen lässt man sich sicherheitshalber 2-3 Wochen Zeit. Täglich sind damit mehr Bäume eingesponnen und die knapp bemessene Summe – bei 40.000 Bäumen kostete die Behandlung eines Baumes 2,30 € bzw 92 Rubel – schrumpft weiter. Bleibt zu hoffen, dass Irkutsk ähnliche Bilder wie aus dem kroatischen Osijek erspart bleiben, als man dort schnell und günstig gegen zu viele Mücken vorgegangen ist:

Fragen nach Ursachen des massiven irkutsker Befalls, insbesondere in den zentrumsfernen „Schlafsilobezirken“ Novo-Lenino und Irkutsk-2, sind im übrigen noch nirgendwo angesprochen worden. Aber muss ja auch nicht. So ein paar olle Schmetterlinge bekommt man schon irgendwie klein, wetten?

 

Baikal/Interkultur

Ausflug auf die Insel

Posted by Sascha Preiß on

Endlich auch einmal auf Olchon, ein Trip für fünf Tage im Sommer, Temperaturen um die 25°. Bei der Anreise – vier Autostunden ab Irkutsk zur Fähre, die letzten 60km auf Sand und Schotter, auf der Insel nur noch Sand – verabschiedet sich geräuschlos ein Hinterreifen, was uns 7000 Rubel kosten wird. Die Schönheit der größten Baikalinsel wird zurecht gerühmt, ein echtes Erlebnis für Zivilisationsflüchtlinge und Backpacker auf der Suche nach möglichst viel menschenleerer Natur. Ein Ort für Kinder wie in unserem Fall ist Olchon jedoch leider nicht. Es gibt zwar eine Schule, aber keine Spielplätze. Außer Nikita, der die größte Unterkunft in Khuzhir betreibt, ist keine Herberge auf Kinder eingestellt: Zielpublikum ist der wander- und/oder trinkfreudige Mensch aus dem In- und Ausland, der in der einzigartigen Natur des Baikalsees ausspannen möchte. Eine geleitete Exkursion etwa zum Nordkap der Insel, dem „Mys Khoboy“, kostet 1800 Rubel und dauert 10 Stunden, 6 davon im robusten Kleinbus UAZ 2206, danach geht es mit dem Schiff zurück.

Der Bus ist für 10 Personen gebucht, hinzu kommen noch drei Kinder im Alter von 2, 6 und 12 Jahren – die dürfen sich irgendwo dazwischen drängen. Der Fahrer beginnt seine Ausführungen über die Insel mit einer Touristenschelte: Wie schön die Insel tatsächlich ist und wie sehr die ganzen Touristen den wundervollen Ort verdrecken, denn sie lassen ihren Müll überall liegen. Die Geschichte vom Müll der Touristen, welcher die Sauberkeit der Baikalnatur gefährde, kann man im Irkutsker Gebiet täglich hören. Es ist nicht eindeutig zu klären, wer mit „Touristen“ gemeint ist, Ausländer, Russen aus anderen Teilen der Föderation, oder einfach keine Einheimischen. Fest steht jedoch in dieser Legende vom Baikalmüll, dass das Übel von Außen in die Welt dringt. Und tatsächlich lassen Urlauber, die von der schönen Natur schwärmen, oft genug ihren Abfall, ihre Flaschen, Plastetüten und Zigarettenschachteln an Grillstellen in freier Wildbahn liegen. Aber unser schimpfender Fahrer wird wenige Stunden später, nachdem er für die Touristen über offenem Feuer eine Fischsuppe gekocht hat, seine diesbezüglichen Abfälle in der erkaltenden Glut hinterlassen, Speisereste, Servietten, Plastetüten, was dann vom Wind durch die Landschaft getragen wird. Und was er eine Tour später wieder ausgiebig wird schelten können.

Touristen sind allgemein das Lieblingsthema des Fahrers. Gerade nähert er sich einer Gruppe von drei jugendlichen Wanderern. Was wir denn nun annehmen würden, woher diese Touristen kommen, ob das Russen oder Ausländer seien, will er wissen. Woher wir das wissen sollen, ohne zu fragen. Er aber lächelt und verspricht eine sichere Methode es herauszufinden: und als er sie überholt, hupt er kurz. Die Wanderer sehen das Auto mit den Touristen an und die Touristen sehen die Wanderer auf ihrem Weg an. Sehen Sie, freut sich der Fahrer, das sind zweifelsfrei hundertprozentige Russen. Russen nämlich unterscheiden sich von Ausländern dadurch, dass sie hupende Autos nur anschauen und einfach weiterlaufen würden. Ausländer aber hätten in jedem Fall sofort angefangen zu lachen und dem Auto zuzuwinken, vielleicht noch ein Foto gemacht.

So ist das nämlich mit den Russen und den Ausländern, mit der unterschiedlichen Natur der Menschen in der Natur. Ausländer könnten mit freier Natur nichts anfangen, sagt er. Fällt ein Löffel beim Mittag vom Tisch, frage der Ausländer nach Wasser und Lappen zum Reinigen. Ein richtiger Russe wischt das Besteck kurz an der Hose ab, die kann man dann zu Hause waschen. Ausländer haben immer Angst vor Schmutz, aber in der Natur gäbe es keinen Schmutz, ein Russe wisse das. Ob ich übrigens Brot schneiden könne. In Deutschland, wisse er, würde das Brot ja immer schon geschnitten verkauft. Damit ich meine Brotschneidefähigkeiten üben könne, erhalte ich zwei Laibe und ein Taschenmesser. Ich mache meine Sache offenbar gut, auf das Thema kommt er nicht mehr zurück. Aber ich solle mich doch beim Tee eingießen nicht so anstellen und den heißen Kessel richtig anfassen. Außerdem empfiehlt er mir, mal ein halbes Jahr mindestens in der russischen Armee zu dienen, dort würde mir dann das richtige Verhalten in Russland beigebracht.

Apropos Armee. Der 6jährige Junge, der im Bus vorn bei seinem Vater sitzt, Sportanzug und ein Tuch im Camouflage-Look trägt (während das ca. 12jährige Mädchen geschminkt ist und helle Sonntagskleidung mit Sandalen angezogen hat), lernt in der Schule deutsch, weil seine Eltern das so wollen. Ein paar Sätze kann er schon. Auf dem Schiff spielt er mit Lili. Doch plötzlich steht er vor mir und sagt, er habe gehört, dass sich Deutsche noch immer in Russland für den Krieg entschuldigen würden, ob das wahr sei. Nun ja, antworte ich, der Krieg Nazideutschlands gegen die Sowjetunion war außerordentlich brutal und grausam, das kann man nicht einfach so ignorieren. Kurz darauf hat er seine große Spielzeugpistole herausgeholt und wird den Rest der Schiffsfahrt auf mich schießen.

In der kleinen Kombüse des für Tourismuszwecke umgebauten Fischkutters wird Tee gereicht. Die einzige echte Möglichkeit, sich von der kalten Seeluft zu erholen und zu wärmen. Lili wagt sich kaum an Deck, spielt die meiste Zeit in einer kleinen engen Kajüte auf dem Bett. Erst spät entdecke ich ein Buch, das dort von irgendjemandem vergessen wurde. Ein ehemaliger Tschetschenien-Soldat hat einen Armee-Roman geschrieben: „Und zuletzt lacht Spezialeinheit“. Das abgegriffene Taschenbuch ist mein Souvenir von der Exkursion durch die Insel Olchon. Ansonsten hab ich natürlich noch jede Menge Fotos und einen ordentlichen Sonnenbrand auf der Nase mitgebracht. Schließlich wars doch auch ein Urlaub.

Anti-Terror/Irkutsk/Ulica/Wildbahn

Irkutsker Schießereien

Posted by Sascha Preiß on

Dieser Blogeintrag verdient eigentlich einen reißerischen Kriminalfilm-Titel: 2011 ist nicht das beste Jahr in dieser Stadt. Während nämlich die meisten Irkutsker am vergangenen Samstag das Stadtfest mit großem Karneval begingen, gerieten ein Mercedes-Fahrer und der Fahrer eines Schulbusses derart in Streit, dass der Fahrer des Mercedes schließlich auf den Bus schoss. Nach eigener Aussage, weil der Schulbus seinem Auto den Weg versperrte, auf dem er seine hochschwangere Frau ins Krankenhaus fahren wollte. Glücklicherweise wurde niemand verletzt.

Gut, mag man jetzt sagen, sowas kommt eben vor, zumal im wilden Osten Sibiriens. Deutlich weniger beruhigend dafür der heutige Montag: Erschossen wurde heute ein Mitarbeiter einer Inkassofirma vor dem Irkutsker Gebietsgericht. Drei unbekannte Männer in Sportkleidung eröffneten kurzerhand das Feuer auf den Mann, als er aus dem Auto steigen und die Einnahmen abgeben wollte. Die Täter konnten mit über 2 Mio Rubeln entkommen.

Verhaftet hingegen wurden zwei dringend Tatverdächtige, die für einen aufsehenerregenden Doppelmord an Straßenwächtern verantwortlich gemacht wurden. In den frühen Morgenstunden des 12. April wurde über Polizeifunk Hilfe bei der Verfolgung eines Autos angefordert, das Auto eines außerbehördlichen Straßenwachdienstes konnte das verdächtige Fahrzeug anhalten. Die beiden Insassen des „Zhiguli“ stiegen umgehend aus und schossen ein Dutzend mal auf die Wachdienstmitarbeiter, zwei starben, ein dritter wurde schwer verletzt.

Ebenfalls Aufsehen erregte die Mordserie in Akademgorodok. In diesem Stadtteil abseits des Stadtzentrums wurden zwischen Dezember 2010 und März 2011 mindestens 6 Menschen ermordet. Anfang März wurde nach zwei weiteren Morden eine Bürgerwehr gebildet, schließlich patrouillierte die Polizei durch nahezu alle Straßen, auch der Bürgermeister machte die Mordserie zu einer Angelegenheit unter seiner persönlichen Kontrolle. Anfang April wurden zwei verdächtige junge Männer verhaftet, die zumindest einen Mord zugaben. Inzwischen wurde ihre Untersuchungshaft, die heute abgelaufen wäre, bis Oktober verlängert, sie sollen unter psychologische Beobachtung gestellt werden.

Außerdem lieferte sich ein Mann am 22.Februar mit Mitarbeitern der Wachfirmen im Einkausfzentrum „Passage“ eine ausgiebige Schießerei, bei der glücklicherweise niemand verletzt wurde, aber der Schütze festgenommen werden konnte. Woher er seine Waffen hatte, ist unbekannt, vermutlich wollte er von Firmen im Einkaufszentrum Geld erpressen.

Im Dezember 2010 hat ein betrunkener Mann seine Nachbarin erschossen und ihren Mann schwer verletzt. Was genau zu dieser Tat geführt hat, wurde nicht mehr mitgeteilt. Ein Familienstreit hingegen war Anlass dafür, dass ein pensionierter Polizist seinen Schwiegersohn mit einem Jagdgewehr erschoss, seine Tochter schwer verletzte und sich anschließend selbst tötete. Und im März 2010 wurde der Prozess gegen die Gruppe „Die Magie des Blutes“ eröffnet, die mindestens 5 brutale Morde und mehrere schwerwiegende Misshandlungen zu verantworten hat. Ein 21jähriger hatte mit vier minderjährigen Schülern aus reiner Mordlust seine Opfern zu Tode gequält, indem ihnen u.a. nacheinander die Arme und Beine abgeschnitten oder mit Steinen zertrümmert wurden.

Man möge mir also meine kurze Panik verzeihen, als gestern ein junger Mann die Straßenbahn mit einer Kettensäge betrat. Aber er setzte sich einfach nur ganz vorne hin und stieg zwei Stationen später wieder aus, ohne von der Säge Gebrauch gemacht zu haben. Sehr angenehm, zur Abwechslung.