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Das Wetter/Irkutsk/Russland

Frohe Weihnachten!

Posted by Sascha Preiß on

Heute, da die russlandweiten Anti-Wahl-Proteste einen weiteren Höhepunkt erreicht haben, fiel nun also den sechsten Tag in Folge in Irkutsk Schnee und die für den örtlichen Demonstrationsplatz am Station „Trud“ angekündigten Proteste so gut wie aus. Es kamen offenbar so wenige, dass selbst die Berichterstattung nicht mehr lohnt. Andererseits hatte ja vor einer Woche der Bürgermeister selbst sein ganzes politisches Gewicht in den Ring geworfen, als er nach Putins 4,5stündiger TV-Fragestunde (bzw moderierte Monologe) ebenfalls zu der Behauptung griff, die Proteste gegen die Wahl in Irkutsk seien von „ausländischen Sonderdiensten“ finanziert und sowieso gegenstandslos, weil ja in Irkutsk nicht wirklich etwas zu beanstanden sei: Also werde er, Viktor Kondraschow, ab sofort mit einem weißen Helm gegen die „Weißen Bänder“ (die Putin als Kondome verhöhnt hatte) vorgehen.

Wie auch immer Putin (von Medwedjew hat in den vergangenen Monaten in Russland niemand mehr gesprochen, obwohl er ja eigentlich Präsident ist, aber offenkundig derart unwichtig, dass selbst seine nett gemeinten Ansprachen unerhört vergehen) nun auf die neuerlichen Proteste reagieren wird – schaut man sich die Liste seiner Präsidentschaftsgegner an, muss man sich noch immer um seine Wiederwahl keine Sorgen machen.

Sorgen hingegen muss man sich allmählich um eine touristische Attraktion am Baikalufer machen: Der Betrieb der Baikalrundbahn könnte im kommenden Jahr mangels Geldes eingestellt werden. Noch wird die Strecke vom Südufer des Sees (Sljudjanka) zum Port Baikal regelmäßig angeboten, doch ein durchgehender Verkehr von Irkutsk und wieder zurück ist vorerst auf Eis gelegt. Bislang jedenfalls konnte man für alles, was schief zu gehen drohte, nach Putin rufen, und wenn er kam, wurde alles irgendwie gut. Ob das auch im kommenden Jahr so bleibt, ist ungewiss.

Und apropos: Es ist, wie eingangs erwähnt, Winter und ein ganz wunderbarer dazu, vielleicht auch deshalb, weil die winterliche Idylle so gar nicht zur politischen Situation passen will.

Allen LeserInnen des Irkutskblogs wünsche ich ein fröhliches Weihnachtsfest, с рождеством!

Liljana

Märchen zum Advent: Der traurige Junikäfer

Posted by Sascha Preiß on

Am Abend saß der Junikäfer auf einem Stein und war traurig. So ganz genau wusste er auch nicht warum, aber dass er es war, das wusste er. Und je mehr er es wusste, umso trauriger wurde er.
Och, seufzte er, traurig sein macht keinen Spaß.
Und recht hatte er auch noch.
Also schaute er in den dunkler werdenden Abend und seufzte ausführlich.
Kam ein Falter vorüber geflogen und besah sich den Junikäfer, wie er mit hängenden Fühlern herum saß.
Mensch, Käferchen, rief der Falter, dir scheint ja eine große Laus über die Flügel gelaufen zu sein.
Ach, meinte der Käfer, sag lieber nichts.
Hm, machte der Falter. Was hältst du von einer schönen warmen Umarmung mit meinen Flügeln? Wenns mir mal nicht so geht, weil mich fast wieder so ein Vogel geschnappt hätte, muss ich immer erstmal schön kuscheln und jemanden zum Anschmiegen haben, eh es weitergehen kann.
Und der Falter schlang seine Flügel um den Käfer. Aber der war einfach nicht in Stimmung.
He, du knickst meine Fühler, lass mich los.
Der Falter flog schnellstens davon, so ein hübsches Tierchen und so mürrisch! Und er pfiff sich ein Liedchen.
Der Junikäfer lauschte dem Falter nach, und als alles wieder still war, seufzte er aus tiefster Traurigkeit.
Was hast du denn, kam ein Glühwürmchen den Stein hinaufgekrabbelt.
Weiß nicht, brummte der Käfer, bin traurig.
Macht nichts, sagte das Würmchen, lass uns spielen, meine vierzighundertneunundelfzig Verwandten sind hier um die Ecke, wir könnten noch wen beim Verstecken gebrauchen!
Wie wärs, antwortete der Käfer, wenn du dich einfach vor mir versteckst?
Oh, prima Idee, leuchtete das Würmchen aufgeregt, kleiner Tip: ich bin irgendwo da hinten, ok?
Ja, machte der Käfer, ganz weit da hinten, sehr gut.
Das Glühwürmchen schwirrte davon und der Junikäfer wurde beinah fröhlicher, aber nur beinah. Als er sah, dass es wieder ganz dunkel war, musste er unweigerlich aus ganzem Herzen seufzen.
Da hörte er über sich ein Flüstern.
He, kleiner trauriger Käfer, komm doch mal zu mir hoch.
Der Junikäfer schaute verwundert nach oben und sah eine dicke Raupe, die von einem Ast herunterhing. Was soll ich denn bei dir da oben, fragte er entmutigt.
Ach weißt du, sagte die Raupe, wenn mir alles zu viel wird und der ganze Kram von wegen fressen und täglich immer dicker werden und sich kaum bewegen können und so, wenn das einfach keinen Spaß mehr macht, dann häng ich mich hier hin und lass mich baumeln. Man sagt, dass nach einer kurzen Weile ein ganz neues Leben beginnt!
So, sagt man, meinte der Käfer.
Jaja, bestätigte die Raupe, also los, komm, häng dich auch ans Blatt!
Ach, sagte der Käfer, ich hänge hier schon genug durch.
Na wie du willst, sagte die Raupe und zog sich in sich selbst zurück.
Dann wurde es wieder ganz still um den traurigen Junikäfer. Er blickte die ganze Nacht in den Sternenhimmel, aber er wurde einfach nicht munterer. Schließlich wurden die Sterne immer blasser und blasser.
Und plötzlich grinste hinter den Bergen die Sonne hervor.
Ha!, rief da der Junikäfer mit einem breiten Lächeln, genau darauf hab ich gewartet! Und schon surrte er purzelbäumend jubelnd auf sie zu.

Irkutsk/Russland/Ulica

Zwischen den Wahlen

Posted by Sascha Preiß on

Die Wahlen zur russischen Duma liegen zehn Tage zurück, an den massenhaften Protesten in Russland gegen Wahlfälschungen und Einflussnahme bei der Stimmabgabe hat sich am Samstag auch die Irkutsker Bevölkerung beteiligt, vorerst nur mit etwa 1000 Menschen. In drei Tagen ist aber eine größere Protestdemonstration angekündigt. Die Proteste verliefen absolut friedlich, obwohl ursprünglich nur 300 Menschen für den Kirow-Platz zugelassen waren und die Demonstration kurzerhand vor den Zirkus verlegt werden musste, aus Sichtweite der Gebietsverwaltung. Allerdings gibt es dennoch reichlich Unterstützer des Protests und beinah alles wird im Internet dokumentiert. Dieses bislang als unzensiert geltende Medium hat in der Tat stark an Bedeutung in Russland gewonnen und damit auch die Aufmerksamkeit der politischen Führung – Prognosen sehen eine zunehmende Überwachung voraus. Auch in Irkutsk wurden am 4.Dezember die Server der freien Wahlbeobachter von „Golos“ blockiert (Meldung um 17:15), inzwischen machen Meldungen über behördliche Beobachtung aller mit Irkutsk verknüpften Profile bei vkontakte und facebook die Runde.

Die Duma-Wahlen sind im Irkutsker Gebiet nicht besonders berauschend für „Einiges Russland“ ausgegangen, im gesamten Oblast erreichte ER gerade einmal knapp 35%, relativ dicht gefolgt von den Kommunisten (27,79%) und mit großem Abstand zu Schirinowskis LDPR (17,34%) und „Gerechtes Russland“ (13,36%). In Irkutsk und Angarsk lagen die Kommunisten sogar deutlich vor ER, auch wenn die gesamte Familie des ehemals kommunistischen Bürgermeisters V. Kondraschow, der nach den Bürgermeisterwahlen im März 2010 recht bald zu „Einiges Russland“ überlief, für „Stabilität“, einem Schlüsselwort im Wahlkampf von ER, stimmte. Offenkundig ist seine Popularität nicht wahlbedeutend. Ebensowenig wie die im Irkutsker Gebiet gemeldeten Verletzungen des Wahlrechts, wie „Golos“ zur Liste anmerkt.

Dennoch sind die Ängste oder Hoffnungen auf ein Abflauen des Protestes wohl unbegründet – solange Identitätsfiguren wie Alexei Navalnyj noch in Haft sitzen, wird es weiterhin Guerilla-Aktion wie die der russischen feministischen Punk-Band „Pussy Riot“ geben, die kurzerhand eine Art Konzert für die Inhaftierten an den Gefängnismauern veranstalteten. (Wobei insbesondere bei Navalnyj nicht klar ist, wo Aufklärung und nationale Verklärung beginnt: Immerhin ist er einer der Mitunterstützer des diesjährigen „Russki Marsch“ in Moskau, einer ultranationalistischen Veranstaltung. Und für den Moskauer Protest am 24.12. haben sich bereits reichlich Nationalisten angekündigt.)

Wahlplakat der Kommunisten: Zur Wahl mit (einer) Kalaschnikow

Unabhängig von der weiteren Entwicklung der Proteste und dem gegen sie gerichteten Vorgehen der Behörden – wenn es nun ganz schlecht für V.V. Putin bei den im März 2012 anstehenden Präsidentschaftswahlen läuft, könnte tatsächlich ein gegenwärtiger Irkutsker die Russische Föderation anführen: Der Gouverneur des Irkutsker Gebietes, Parteimitglied von ER und gebürtige Leningrader Dmitrij Mesentsev ist einverstanden, sich als Kandidat für das Präsidentenamt aufzustellen. Auf die Frage von Journalisten, dass er damit auch Putin selbst direkte Konkurrenz macht, antwortete er: „Für mich bleibt Vladimir Vladimirowitsch erst einmal Regierungsvorsitzender.“ Außerdem sei er kein Parteimitglied von ER – eine Haltung, die Putin und dessen Distanzierung von seiner eigenen Partei bekräftigt. Nun, wir dürfen davon ausgehen, dass man sich außerhalb des Irkutsker Gebietes und jenseits der russischen Grenzen nicht wirklich an den Namen Mesentsev wird gewöhnen müssen. Auch wenn in diesem heißen russischen Winter viel möglich scheint. (Ob der Weihnachtsmann in Russland die Kommunisten wählt?)

Auch zum Neujahrsfest sind Kalaschnikows der Knaller: Weihnachtsmann und Snegurotschka gut gerüstet in Camouflage-Mänteln

Im Übrigen: Während sich in Moskau die meisten Kinos vor der Dumawahl schlicht nicht wagten, den kontroversen Film „Chodorkovskij“ auszustrahlen, wird der Film ab Freitag für zwei Wochen im „Dom Kino“ gezeigt. Dies als Ankündigung für alle Interessenten, die noch keine Gelegenheit hatten, den Film zu sehen, mich inbegriffen.

selbst/Sprache

Lesung: Ganz ist die Ordnung noch nicht abhanden

Posted by Sascha Preiß on

Dies hat nicht unmittelbar mit Irkutsk, dem Thema dieses Blogs, zu tun. Ich möchte an dieser Stelle beginnen, einige Texte als Lesung zu veröffentlichen. Die erste Lesung dieses Textes fand heute in sehr kleinem Kreis in einem Irkutsker Restaurant statt, allerdings ist die Aufnahme nicht besonders gut. Daher habe ich die Lesung in der Küche (mit Weihnachtsplätzchen) wiederholt. Gelesen wird der Anfang eines längeren Textes, der den Titel „Durchnässte Soldaten“ trägt und in Pannonien spielt.

Liljana

Der Schneemann von gestern

Posted by Sascha Preiß on
Irkutsk/Ulica

Wundervolles Irkutsk

Posted by Sascha Preiß on

Vor wenigen Tagen begann Vater Nikolai, die Flugzeuge der Irkutsker Fluglinie IrAero zu weihen. Nun ist es so, dass das Vertrauen in die eigenen menschlichen und technischen Fähigkeiten in Russland traditionell nicht das höchste ist. Selbst gute, in Russland produzierte Produkte würde man kaum mit dem eher ironischen „Russkoe Kachestvo“ bewerben. Man fährt auch lieber ein japanisches, noch besser deutsches Auto als ein russisches, denn auf den Straßen kann allerhand passieren. Und leider passiert auf Russlands Straßen erheblich zu viel, im Jahr 2008 wurden knapp 220.000 Unfälle registriert, bei denen etwa 30.000 Menschen starben und 270.000 verletzt wurden. Diese katastrophalen Zahlen sind zwar Jahr für Jahr rückläufig, doch viel zu langsam. 2010 starben immer noch 26.567 Menschen bei knapp 200.000 Verkehrsunfällen. Es steht außer Frage, dass dringend gehandelt werden muss. Vater Alexander hat das nun gestern in Irkutsk getan. Er hat unter Mithilfe von Mitarbeitern der „Staatlichen Sicherheitsüberwachung der Verkehrswege“ (GIBDD), Abteilung Irkutsk, die gefährlichsten und unfallanfälligsten Straßenstellen in Irkutsk – nun ja, geweiht. Damit hat er nach den Worten von Iwan Dobrowolski, dem „Inspektor für Propaganda“ im GIBDD, schon einmal vor drei Jahren begonnen, offenbar „mit Effekt“: Jetzt gäbe es bei Unfällen an der geweihten Stelle nur noch Blechschäden. Wenn das mal kein vielversprechender Ansatz für eine Verbesserung der russischen Verkehrssicherheit ist.

Wunder über Wunder. Irkutsk hat davon seit heute offiziell 10. Es gab nämlich im Internet die Wahl „Die 10 Wunder von Irkutsk“ – wobei es gar nicht um das Wirken Jesu in Irkutsk geht, sondern um weitaus weltlichere und der Vergänglichkeit ausgesetzte Dinge: Gesucht wurden die schönsten Orte der Stadt, je einer sollte es aus diesen 10 Kategorien sein: romantischer Ort, geheimnisvoller Ort, extremer Ort, freundlicher Ort, patriotischer Ort, historischer Ort, sauberer Ort, futuristischer Ort, ungewöhnlicher Ort und Ort am Wasser. Vergänglich sind die zu erwartenden Wunder allein schon deshalb, weil sich in den vergangenen 100 Jahren die russischen Städte mehrfach sehr radikal gewandelt haben, nicht immer zum Wunderbaren. Nun aber stehen sie fest, die Wunder der Stadt. Und das ist eine unterhaltsame Mischung aus Sehenswürdigkeiten und sehr seltsamen Orten, wobei nicht sicher ist, dass etwa die Wahl des Eispalastes oder einer Fußgängerunterführung nicht ganz ironiefrei ist. Mein Vorschlag nun wäre, diese Wunder-Orte schnellstmöglich vor dem Verfall und anderen Unfällen zu bewahren, indem sie von Vater Alexander und Vater Nikolai gemeinsam geweiht werden. Man kann nie wissen, nachher gibt es noch ein ungeweihtes Erdbeben oder so und alles ist wieder futsch. Wir rechnen daher fest mit himmlischem Beistand.

Baikal/Begraben

Direktflug? Welcher Direktflug? [UPDATE]

Posted by Sascha Preiß on

Eine wahrscheinlich erfreuliche Nachricht, die auch überhaupt nicht mehr verwundern sollte, zwischendurch: Nach den z.T. verheerenden russischen Flugzeugunglücken in diesem Jahr, sind der Fluggesellschaft VIM Avia von der russischen Flugaufsichtsbehörde vorläufig Flüge in die EU verboten worden. Anderen Airlines, darunter die „Yak-Service“, die den Tod des gesamten Eishockeyteams aus Jaroslawl Anfang September zu verantworten hat, wurde die Lizenz vollständig entzogen.

Das etwas Beunruhigende an dieser Nachricht: Auch die Fluglinie „Yakutia“ steht vor dem (wiederholten) Flugverbot in der EU. „Yakutia“ bediente in diesem Jahr ab Ende April bis Anfang Oktober den Direktflug Irkutsk-München. Allerdings war dieser Airline 2007 auf EU-Empfehlung ein Einflugverbot in die EU erteilt worden. Der Direktflug wurde mit einer nicht mehr ganz taufrischen Boing 757-200 absolviert, wovon ich mich als einmaliger Passagier im Juni selbst überzeugen konnte, es gab aber auf keinem der durchgeführten Flüge irgendwelche Zwischenfälle zu melden. Allerdings wurden bei der offiziellen Pressekonferenz zur Inbetriebnahme des Fluges auch keinerlei Fragen von Journalisten (etwa zu den Gründen der Wiederaufhebung des Flugverbotes) zugelassen. Inzwischen ist der Direktflug wieder eingestellt, vorerst aus vermeintlich saisonalen Gründen. Ob er im kommenden Jahr wieder aufgenommen wird, ist sehr fraglich, es laufen Planungen für einen „Yakutia“-Direktflug ins nahegelegene und günstigere Prag. Ob dieser überhaupt angeboten werden kann, darf wegen des drohenden erneuten Flugverbotes in die EU stark bezweifelt werden.

Der Flug selbst, anfänglich 2x wöchentlich angeboten, später wegen unzureichender Nachfrage auf 1x reduziert, erwies sich als finanzielles Desaster. Offensichtlich gab es vorher keinerlei Evaluation eines möglichen Fluggastaufkommens, anders sind die katastrophalen Auslastungen des für 192 Passagiere ausgelegten Flugzeuges nicht zu erklären: Minusrekord Ende Mai – 9 Fluggäste auf einem Rückflug aus München. Weiterhin scheinen sich die Werbebemühungen fast ausschließlich auf Russland bzw Ostsibirien beschränkt zu haben. Von deutschen Reiseunternehmen war des öfteren zu hören, dass sie von diesem Flug keinerlei Kenntnis hätten. Aus diesem Grund entschloss sich eine hochrangig besetzte Delegation (Chefs der Airline, Gouverneur des Irkutsker Gebietes, Bürgermeister Irkutsk, Rektoren verschiedener Unis) Anfang Juni zu einem Werbebesuch in München. Die mitreisenden Uni-Rektoren nutzten die Gelegenheit zu Kurzbesuchen an den bekannten Münchner Hochschulen, mit denen u.a. ich das Besuchsprogramm absprechen sollte. Etwas verwundert rief mich eine Mitarbeiterin im Auslandsamt der Münchner TU auf meinem russischen Mobiltelefon an und wollte wissen, warum denn plötzlich diese ganzen Rektoren kommen. Ich erklärte ihr den Hintergrund des unausgelasteten Flugzeuges, woraufhin sie in schallendes Gelächter ausbrach. „Und dafür der ganze Aufwand?“, war ihre durchaus berechtigte Frage. Ich hatte hingegen festzustellen: Ein Direktflug München – Irkutsk ist eben doch die ungleiche Begegnung von Metropole und hinterer Provinz, auch wenn man das naturgemäß in Irkutsk anders sieht.

Nun also sieht es also so aus, als ob dieser Flug ein singuläres Ereignis geblieben sein wird, eine unbedeutende Anekdote in der Geschichte des internationalen Flugverkehrs. Die Gründe dieser zu erwartenden Verbindungseinstellung sind hingegen wenig unterhaltsam: Die russische Luftfahrt ist im Moment leider alles andere als sicher und wird in den kommenden Jahren radikale Veränderungen erleben. Müssen.

[UPDATE]

Die Pointe lässt nicht lange auf sich warten. Soeben wurde vermeldet, dass auf dem Irkutsker Flughafen, der in der Vergangenheit selbst mehrfach Schauplatz schwerer Flugzeugunglücke war, begonnen wurde, die Flugzeuge der Fluggesellschaft von einem Geistlichen zu weihen. Vater Nikolai, der bereits Kriegsflugzeuge weihte, tat dies nun erstmals mit zwei zivilen Flugzeugen – und gab den beiden Maschinen auch neue Namen: Nikolai, der Wunderbewirkende und Innokent von Irkutsk. Geplant ist nun, die gesamte Flotte der Irkutsker Fluggesellschaft IrAero auf gleiche Weise zu weihen. Man fliegt gleich viel sicherer, wenn tiefempfundenes Gottvertrauen das Flugwesen Russlands vor dem Absturz bewahren wird.

minimal stories/Russland/Universität

Der Feiertag

Posted by Sascha Preiß on

Montag am Englisch-Lehrstuhl. Dort verfügt man über ganz ansprechende PC-Kabinette, die wollte ich mir für ein paar Tage unter den Nagel reißen. Vergeblich: Die Kabinette sind seit ein paar Tagen ohne Internet und werden wohl auch für den Rest des Monats abgeschaltet bleiben. Nur weil man an einer Technischen Universität arbeitet, bedeutet das nicht, dass die Technik auch funktioniert. Dafür ist im Büro des Lehrstuhls eine Tafel festlich gedeckt. Wem darf man denn heute zum Feiertag gratulieren, frage ich. Na uns allen, antwortet die Lehrstuhl-Älteste, heute ist doch der große Festtag! Offensichtlich scheine ich ungläubig auszusehen. Mit dem Stolz der Tradition ruft sie: Es ist Tag der Revolution, der 7. November! Und gekränkt sinkt sie in ihren Stuhl: Und nicht dieser falsche Tag da. Die anderen Mitarbeiterinnen im Raum nicken verhalten. Dieser beharrende Trotz, Feste zu feiern, die schon längst staatlich überarbeitet wurden, ist auf seine Weise beeindruckend und erweckt in mir Lust auf einen Essay zur ewigen Allgegenwart Lenins und die Werbeplakate der Russischen Kommunisten mit Stalins Konterfei. Aber für solche Kommentare habe ich keine Zeit, ich brauche dringend ein Computer-Kabinett mit benutzbarem Internet-Zugang. Ich habe nicht einmal Zeit, mich zu fragen, was Lenin zu Facebook sagen würde.

Architektur/Irkutsk

Stadtentwicklung, zweiter Teil

Posted by Sascha Preiß on

Kurz nachdem ich in Irkutsk meine Arbeit begonnen hatte, fragte mich eine deutsche Kollegin aus dem ostsibirischen Omsk, ob auch in Irkutsk neuer Baugrund entsteht, indem Holzhäuser einfach abgebrannt würden. Damals konnte ich dies aus eigener Anschauung nicht bestätigen. Während der vergangenen drei Jahre, die ich mittlerweile hier lebe und arbeite, hat sich die Stadt z.T. massiv verändert, insbesondere im Zuge der Feierlichkeiten zum 350jährigen Stadtjubiläum. Das Stadtbild hat sich an manchen Stellen radikal verändert und auf ehemaligen Standorten eben jener alten Holzhäuser, die aus Mangel an Geld und politischem Erhaltungswillen tatsächlich sehr heruntergekommen waren oder noch immer sind, entstehen und entstanden moderne, wenig effektiv gebaute Neubausiedlungen. Die unabhängige Irkutsker Zeitung „Vostochnaya Sibirskaya Pravda“ spricht im Zusammenhang mit Verdrängung sibirischer Holzarchitektur durch Brände auch von einem „Friedhof der verbrannten Häuser“ und fragt nach der Verantwortung des Irkutsker Bürgermeisters. 

Auf studentische Initiative und in Kooperation der TU Irkutsk mit der TU Dresden waren im Frühjahr/Sommer zwei Architekten, die in Dresden Architektur bzw Architekturtheorie unterrichten, fünf Monate in Irkutsk zu Gast. Ihre Eindrücke von der Stadt an der Angara, deren zahlreich vorhandene, jedoch so gut wie nie genutzte oder umgesetzte städtebauliche Möglichkeiten, haben sie zu einem Artikel für die Irkutsker Deutsche Zeitung zusammengefasst (auch in russischer Übersetzung erschienen). Der Irkutskblog veröffentlicht diesen Text seinerseits, da in ihm exemplarisch der Zustand sehr vieler sibirischer Städte abgebildet ist, ebenso auch die (noch?) nicht ergriffenen Chancen, diese alten Städte für sich selbst und mit ihnen das ganze Land deutlich lebenswerter zu gestalten.

Zum Stadtbild von Irkutsk

Deutschland hat in den 60er/70er Jahren große Fehler in der Stadtplanung gemacht – Irkutsk könnte daraus lernen.

Irkutsk liegt in einem einzigartigen Natur- und Landschaftsraum und die Stadt verfügt über ein außergewöhnliches bauliches Erbe vor allem traditioneller Holzarchitektur, welche den Titel UNESCO-Weltkulturerbe verdienen würde. Das Zusammenspiel von Flusslandschaft und Stadt, aber auch die geographische Lage von Irkutsk bieten große Potentiale für zukünftige städtebauliche und wirtschaftliche Entwicklungen. Es gilt jedoch die historischen und natürlichen Schätze zu bewahren und stärker als Lebensqualität für seine Bürger und Besucher zu nutzen.

Intaktes Holzhaus

Die bauliche Geschichte und Identität von Irkutsk, der so genannte „Geist des Ortes“ prägen die Unverwechselbarkeit der Stadt. Um diese zu erhalten, muss die historische Bausubstanz bewahrt werden und neue Architektur sich angemessen auf das Bestehende beziehen. Das heißt zukünftige Bauvorhaben sollten sich in ihrer Formensprache, Maßstäblichkeit und einer für Sibirien klimagerechten Konstruktionsweise sensibel in den städtebaulichen, landschaftlichen und kulturellen Kontext integrieren. Formal willkürliche Neubauten wie beispielsweise große rosafarbene Shoppingcenter im Stadtzentrum bzw. entlang des Flusses, oder der mehrstöckige Geschosswohnungsbau bewahren das Besondere von Irkutsk ebenso wenig wie das Verstellen und Zerstören der historischen Gebäude. Oftmals beeinträchtigen erste Hochhäuser innerhalb eines Quartiers die Identität der gesamten Umgebung. Bespiele dieser Art finden sich in der ganzen Stadt. Die traditionelle Holzarchitektur stellt jedoch einen entscheidenden Beitrag zur wertvollen Irkutsker Baukultur dar. Die Bedeutung der Holztradition wird erkannt, wie sich bei neuen Projekten wie dem Quartier 130 zeigt. Die dortige Verfahrensweise ist jedoch sehr aufwendig und nicht stilgerecht. Zum Erhalt der Holzarchitektur gehört die Sanierung nach heutigen Wohnstandards sowie der teilweise Erhalt der innerstädtischen Wohnnutzung und der zu den Gebäuden gehörenden Nutzgärten. Durch die Zerstörung der Holzhäuser durch Brände oder gar Brandstiftungen, sowie das scheinbar ungebremste Ausdehnen kleiner Containerläden südlich des zentralen Marktes mit ihren dazugehörigen abweisend wirkenden Stahlzäunen, entsteht der Eindruck, dass die Holzbebauung bewusst vernichtet werden soll.

Besondere Sensibilität sollte neben dem historischen Zentrum vor allem an den Flussufern gelten, denn der innerstädtische Landschaftsraum in Irkutsk hat ebenfalls mehr zu bieten. Die derzeitige Betonfassung des Flusses wirkt sehr abweisend. Die sauberen kristallklaren Flüsse Angara und Irkut, ihre Inseln und Ufer sollten intensiver und vielfältiger genutzt werden. Öffentliche Räume könnten durchgehend entlang der Ufer erschlossen und für verschiedene Zielgruppen wie beispielsweise Radfahrer, Spaziergänger, Skater, Skilangläufer, Angler gestaltet werden. Grundsätzlich sind Plätze und Denkmäler oft sehr aufwändig mit Blumen bepflanzt, aber diese in erster Linie repräsentativen Räume bieten wenig Nutzungsspielraum. Man kann Flanieren oder auf einer Bank sitzen, andere Gestaltungstypen und alternative Nutzungen sind kaum zu finden. Es fehlen öffentliche Angebote für verschiedene Sportarten. Statt neuer Denkmäler und Blumenbeete (wie z.B. am Prospekt Marschala Schukowa in Solnezneij) könnte man Aktivitätsräume für Jugendliche schaffen beziehungsweise diese auch mit jungen Leuten oder Vereinen gemeinsam errichten. Beteiligt man bestimmte Gruppen bei der Gestaltung „ihrer“ Plätze, bleibt Vandalismus oftmals aus. Auch das Thema Wohnen am Wasser könnte stärker entfaltet werden. Dabei sollten am Fluss weniger beliebig aussehende Hochhäuser, sondern gestaffelte Bebauungen und öffentliche Zugänge zur Flusslandschaft geschaffen werden. Eine Bebauung könnte sich sensibel mit natürlichen Materialen wie Holzstegen und Holzliegeflächen sowie unversiegelten Wiesen dem Fluss nähern.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Irkutsker schätzt Eure Geschichte und stärkt Eure bauliche Identität, statt austauschbare postmoderne Glashochhäuser zu bauen! Ihr könntet heute von den Fehlern der 1960 und 70er Jahre deutscher Städte lernen. Wir rissen alte Fachwerkhäuser in den Innenstädten ab, wir ersetzten unsere Altstädte mit Neubauten und Schnellstraßen. Seit den 1990er Jahren verfolgen viele deutsche Städte den historischen Wiederaufbau und den Rückbau von Verkehrsbauten. Die Stadt Frankfurt am Main reist ihr Stahlbetonrathaus wieder ab und baut an selber Stelle die früheren Fachwerkhäuser wieder auf. Vielleicht müssen die Fehler der Stadtentwicklung selbst erfahren werden, um zu einer Haltung zu kommen, die die Geschichte und Tradition würdigt und bewahrt. Doch könnte Irkutsk aus den Fehlern anderer Städte lernen, würde viel Mühe gespart, authentische Geschichte erhalten und damit die städtische Identität gestärkt werden. Dafür bedürfte es jedoch nicht nur gut gemeinter Reden oder Schriften einzelner Fachleute, sondern verantwortungsbewusste Politiker und Investoren, die eine nachhaltige Stadtentwicklung und eine steigende Lebensqualität ihrer Einwohner statt unreflektiertes Bauen und kurzfristige Gewinne verfolgen.

Irkutsk, den 30. August 2011

Dr. Katja Friedrich und Andreas Dörrhöfer, Architekten aus Dresden

Begraben/Transsib

Der Tote im Zug

Posted by Sascha Preiß on

Da fuhr einmal ein Zug von Wladiwostok nach Pensa und als er zwischendurch in Irkutsk ankam, wurde ein Reisender tot aufgefunden. Das ist leider alles.

Und damit dürfen Sie Ihren Assoziationen freien Lauf lassen: Stellen Sie sich vor, wir befinden uns im tiefsten Russland, unternehmen eine mythische Fahrt mit der Transsibirischen Eisenbahn. Und im Nachbarabteil, unbemerkt von allen Mitreisenden, stirbt ein Mensch. Da kräuselt sich doch alles durch den Kopf: Von Höhepunkten des Kriminalfilms im 20. Jahrhundert zu Tiefpunkten des zeitgenössischen Russlandfilms aus westlicher Sicht. Alles, was mit unbekannten Toten in fahrenden Zügen zu tun hat, soll erlaubt sein. Daraus knüpfen wir uns schon eine mehr oder weniger stringente Geschichte zusammen, keine Angst. Oder vielleicht doch: Womöglich halten Sie es eher mit Horror oder aufregenden übersinnlichen Phänomenen, zudem jeder Menge unfreiwilliger Komik? Oder aber Ihnen steht der Sinn nach Realismus, ein bisschen was mit Psychologie und Sozialdrama, möglicherweise geht es um einen Handlungsreisenden (ein suizidgefährdeter Mann mit tragischer Familiengeschichte) oder Sie mögen es ganz und gar fantastisch: starb der Mann handlungsreisend durch verschiedene Roman/Theater/Filmhandlungen?. Oder aber Sie sehen das Ganze mehr so prosaisch und der Tote ist einfach nur einer von denen, die sich in Russland ja sowieso immer und überall zu Tode saufen. Wie wäre Ihnen die Geschichte am liebsten? Aber auf Fragen zu erfahren, wie die Geschichte wirklich war, darf nur mit Ja oder Nein geantwortet werden.

Poetisch-wundersamer Abspann.