Der Nuckel
Die Kellnerin des Restaurants „Pivovarnya“ im 130. Quartal öffnet die Tür. Sie trägt eine strenge, antiquiert wirkende Bedienstetenkleidung, schwarzer Rock, weiße Schürze. In Brusthöhe ist ein Schild angebracht, das ihren (vermutlich realen) Vornamen angibt. An diesem Namensschild trägt sie, wie alle ihre Kolleginnen, vollkommen unpassend, einen großen bunten Nuckel. Die Gäste, drei junge Männer, treten ein, schauen sich im eher leeren Gastraum um, bewundern die hinter der Bar stehenden Braukessel. Einer der Gäste schielt wiederholt, irritiert, auf den lieblos, mit einer aufgebogenen Büroklammer am hellen Schürzenstoff befestigten Nuckel. Den Namen der jungen Frau liest er nicht. Während sie die Kleidung der Gäste in die Garderobe hängt, bittet er um Erlaubnis, ihr eine Frage stellen zu dürfen. Die Kellnerin hat bislang kein unnötiges Wort verloren, nun wendet sie sich ihm aufmerksam zu. Wieso sie denn diesen Nuckel trage, was das denn mit Bier brauen zu tun habe? Ihr Interesse ist augenblicklich verschwunden, sie lächelt gequält und sagt, das Restaurant sei jetzt ein Jahr alt, der Nuckel symbolisiere das. Es ist unverkennbar, dass das humoristisch gemeinte Accessoire niemand witzig findet, es aber für eine Weile zur Arbeitskleidung gehört. Die jungen Männer setzen sich, die Kellnerin bedient. Als sie irgendwann gehen, gibt eine andere Kellnerin die Jacken aus, sie trägt keinen Nuckel. Wo sei ihrer denn geblieben, fragt der Gast. Ach irgendwo da an der Theke, antwortet sie gemütlich, ihr sei das Ding allzu blöd. Es gäbe doch nichts Schöneres, meint er später zu seinen Kumpeln, die sich über vegetarische Lebensweise unterhalten, als ein gesundes Selbstbewusstsein.