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Irkutsk/Kulinarisches/Russland

Die vorletzte Nacht

Posted by Sascha Preiß on

In 30 Stunden werden wir – vorerst – Irkutsk verlassen, unser Aufenthalt in Sibirien nähert sich dem Ende. Es ist die vorletzte Nacht in der Stadt, in der wir fünf Jahre lebten, in der sich unsere Familie verdoppelte. Es ist eine ruhige Nacht, der Regen hat aufgehört, irgendwo bellt ein Hund irgendetwas an, irgendwo werden von Gespinstmotten befallene Apfelbäume gefällt, irgendwo streitet sich wer und nebenan wird sich geliebt; eine völlig normale Nacht führt zu einem nicht weiter bedeutendem Tag, und es fühlt sich gut an. Immer wieder sind wir in den letzten Tagen bei Verabschiedungen von Freunden und Kollegen gefragt worden, was wir aus „dem rauen, wilden, unzivilisierten Sibirien“ mitnehmen, was wir vermissen werden.

– den herrlichen Winter, ganz sicher. Viel Schnee, viel Sonne, viel blauer Himmel. Bei -30° einen Sonnenbrand zu bekommen, klingt paradox, ist aber hier nichts Besonderes. Und es ist einfach so: der Winter ist die eigentliche sibirische Jahreszeit.

Mit dem Hundeschlitten über einen zugefrorenen Fluss brettern

Mit dem Hundeschlitten über einen zugefrorenen Fluss brettern

– die Natur, diese unsinnig weite, unglaublich schöne Welt jenseits der Stadt, in der Leben nach anderem Maß geschieht. Auch: die Beeren, die Früchte, die auf den Märkten angeboten werden.

Steppenlandschaft bei Jelanzy

Steppenlandschaft bei Jelanzy

– die Kunst, Fisch zuzubereiten. Gekocht, geräuchert, roh, gesalzen, gefroren, getrocknet oder gebraten – ich habe nirgends besseren Fisch gegessen. Ignorieren Sie die hier sehr populäre kulinarische Mode Sushi. Aber essen Sie auch nur wenig Omul, die Bestände brauchen Erholung.

Kleiner Fischverkauf bei Listwjanka im Winter

Kleiner Fischverkauf bei Listwjanka im Winter

– überhaupt die Kunst des Selbermachens. Ob es die eigene Ernte von der Datscha oder die im Wald gesammelten Beeren und Kräuter sind: wenig ist wichtiger als selber Rezepturen ausprobieren und anbieten. Die Dekanin kostet einen Salat während einer Lehrstuhlfeier. Wer hat den gemacht, blickt sie beinah drohend ins Kollegium. Eine jüngere Dozentin meldet sich. Die Dekanin zitiert diese mit dem Zeigefinger zu sich: Rezept, sofort. Selbstgemachtes verspricht Anerkennung. (Und überhaupt, diese Geselligkeit.)

Jahreswechselfeier im Kreis der Kollegen

Jahreswechselfeier im Kreis der Kollegen

– die überfordernde Herzlichkeit der Menschen, wenn man sich ihnen geöffnet hat. Mit Musik z.B. (selbstgemacht, Gitarre) geht das. Herzlichkeit ist Vertrauen. Edik war wirklich sauer, weil wir das Versprechen gebrochen, dem gegebenem Wort misstraut hatten. Wir haben zweimal für knapp zwei Wochen sein Haus am Baikal gehütet, er bestand darauf, dass wir und unsere Angehörigen dort seither kostenlos wohnen. Meine Schwiegermutter ließ dennoch Rubelscheine liegen. Inakzeptabel. Selbstverständlich überraschte ich ihn mit einem unangekündigtem Besuch und alles war gut.

Ohne Gitarre ist das Land leer

Ohne Gitarre ist das Land leer

– die Torten, heute z.B. Lilis Geburtstagstorte. Quietschbunt und zuckersüß, umwerfend.

Alles Bunte und Süße zum 4. Geburtstag, Lili!

Alles Bunte und Süße zum 4. Geburtstag, Lili!

– die ziemliche Gelassenheit im Umgang mit Regeln, der auch eine Gelassenheit im Umgang mit Zeit ist. Ein oder zwei illustrative Episoden zu erzählen, bin ich aber leider gerade zu müde, vielleicht morgen…….

Und dann, übermorgen, wenn wir wieder in Deutschland sind, fällt mir wohl noch unendlich mehr ein, was in diese Liste gehörte. Doch zuvor: eine geruhsame Nacht, Irkutsk.

Kulinarisches/Russland

Nüchtern soll das Jahr beginnen

Posted by Sascha Preiß on

Während die Supermärkte sich vor dem Jahreswechsel noch kistenweise Sekt, Wodka und Bier in die Verkaufsräume stellten, beginnt 2013 in Russland mit dem durchaus ernst zu nehmenden Versuch, die Dinge etwas nüchterner zu betrachten. Nicht allein, dass die Preise für Wodka deutlich angehoben wurden. Auch sind in den vielen kleinen Kiosken der Innenstädte seit 1. Januar der Verkauf alkoholischer Getränke verboten.

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Diesen Pavillion, in dem sich gern die Intellktuellen des Mikroraions trafen, wird man seit Neujahr vermissen.

Grund für diesen Angriff auf das Russland-Stereotyp schlechthin ist der enorme Alkoholismus, an dem jährlich etwa eine halbe Million Menschen in Russland sterben. Im abgelaufenen Jahr traten mehrere Regelungen in Kraft mit dem Ziel, den Alkoholkonsum einzuschränken. So wurde Werbung für Hochprozentiges und Bier in beinah allen Medien untersagt. Dazu gibt es gesetzliche Versuche, den Alkoholkonsum in Flugzeugen vollständig zu verbieten. Bereits verboten ist der Verkauf von hochprozentigem Alkohol nach 22 Uhr. Und die bereits seit 2010 regional geltende Ausgangssperre für Jugendliche soll insbesondere den Alkoholkonsum Minderjähriger begrenzen. Wobei stark bezweifelt wird, ob diese Maßnahmen tatsächlich greifen.

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„Nur ein nüchternes Russland wird groß!“ Beworben wird ein Seminar für neue medizinische Ausnüchterungstechnologien.

Immerhin aber gibt es inzwischen auch Versuche, Nüchternheit jenseits von Alkoholverboten attraktiv zu machen. Insbesondere nationalistische Gruppen betrachten die russische Alkoholsucht als größtes Hemmnis gegen staatliche Prosperität. Auf vkontakte.ru, dem russischen Facebook, gibt es jährlich verschiedene Aktionen, den Jahreswechsel russisch zu feiern, also nüchtern und am Neujahrstag mit einem ordentlichen Skilanglauf. Und Gennadi Onishchenko, der Vorsitzende der russischen Verbraucherschutzbehörde, der nicht nur am geplanten und sehr weitreichenden Rauchverbot in Russland beteiligt ist, warb vor dem Jahreswechsel für ein alkoholfreies Fest im Kreis der Familie.

Wobei das neue Jahr wenig hoffnungsvoll begann: am Abend des 1.1.2013 wurde ein junger Mann auf dem zugefrorenen Irkutsker Stausee von einem betrunkenen Autofahrer überfahren und starb.

Kulinarisches/minimal stories

Der Nuckel

Posted by Sascha Preiß on

Die Kellnerin des Restaurants „Pivovarnya“ im 130. Quartal öffnet die Tür. Sie trägt eine strenge, antiquiert wirkende Bedienstetenkleidung, schwarzer Rock, weiße Schürze. In Brusthöhe ist ein Schild angebracht, das ihren (vermutlich realen) Vornamen angibt. An diesem Namensschild trägt sie, wie alle ihre Kolleginnen, vollkommen unpassend, einen großen bunten Nuckel. Die Gäste, drei junge Männer, treten ein, schauen sich im eher leeren Gastraum um, bewundern die hinter der Bar stehenden Braukessel. Einer der Gäste schielt wiederholt, irritiert, auf den lieblos, mit einer aufgebogenen Büroklammer am hellen Schürzenstoff befestigten Nuckel. Den Namen der jungen Frau liest er nicht. Während sie die Kleidung der Gäste in die Garderobe hängt, bittet er um Erlaubnis, ihr eine Frage stellen zu dürfen. Die Kellnerin hat bislang kein unnötiges Wort verloren, nun wendet sie sich ihm aufmerksam zu. Wieso sie denn diesen Nuckel trage, was das denn mit Bier brauen zu tun habe? Ihr Interesse ist augenblicklich verschwunden, sie lächelt gequält und sagt, das Restaurant sei jetzt ein Jahr alt, der Nuckel symbolisiere das. Es ist unverkennbar, dass das humoristisch gemeinte Accessoire niemand witzig findet, es aber für eine Weile zur Arbeitskleidung gehört. Die jungen Männer setzen sich, die Kellnerin bedient. Als sie irgendwann gehen, gibt eine andere Kellnerin die Jacken aus, sie trägt keinen Nuckel. Wo sei ihrer denn geblieben, fragt der Gast. Ach irgendwo da an der Theke, antwortet sie gemütlich, ihr sei das Ding allzu blöd. Es gäbe doch nichts Schöneres, meint er später zu seinen Kumpeln, die sich über vegetarische Lebensweise unterhalten, als ein gesundes Selbstbewusstsein.

Kulinarisches/selbst

Die Sache mit dem Eis

Posted by Sascha Preiß on

Hin und wieder muss ich dann auch mal Lebensmittel einkaufen gehen. Vorgestern z.B. war so ein Tag, und gestern auch. Mit dem Kindergarten ist vereinbart, dass die Eltern einmal im Monat für die Verpflegung der lieben Kleinen aufkommen, heute morgen war ich mit der Pitanje an der Reihe, also bin ich spät abends noch in den nahen, fast rund um die Uhr geöffneten Supermarkt. Als jahrelanger Kunde erlebt man da so einiges. Die Belegschaft kommt und geht, manche Kassiererin grüßt mich bereits, manche ehedem Grüßende hat die Kassiererei für einen besseren Job aufgegeben, und manchmal vergesse ich auch mein Geld zu Hause, so dass die an der Kasse auf meinen Sachen sitzen bleiben. Meist ist aber alles ganz gewöhnlich. Gestern benötigte ich laut Einkaufsliste des Kindergartens mehrere Liter Milch, verschiedene Brote, Butter, reichlich Obst und anderthalb Kilo Quark. Für den eigenen Kühlschrank habe ich dann noch ein paar Eis in den Korb gelegt, bei den hohen Raumtemperaturen hat man regelmäßig Appetit auf eine Abkühlung. Gerade eben bin ich aber doch noch einmal losgezogen, weil neben dem Eis von gestern irgendetwas anderes zu Hause notwendig wurde. Der diensthabende Wachmann begrüßte mich sogleich freundlich, fast wollte ich ihn umarmen und ihn zu einem Wodka einladen. Er aber fragte nur, ob ich nicht von gestern ein Eis vermissen würde. Aber ja, erinnerte ich mich augenblicklich, von den vier in den Korb gelegten waren daheim nur noch drei in den Tüten auffindbar. Da reichte der freundliche Mann das verloren gegangene Stück und ich bedankte mich, ehrlich glücklich. Die Kassiererin, bei der ich bislang grußlos gezahlt hatte, schaute mich skeptisch an, weil ich das Eis unbezahlt in die Tüte steckte. Der Wachmann habe es mir gegeben, verteidigte ich mich, ohne angegriffen worden zu sein. Ich würde ziemlich regelmäßig hier etwas liegen lassen, klang sie doch ein wenig nach Vorwurf. Neinnein, das sei bestimmt das erste Mal gewesen, sagte ich und gab ihr meine Rabattkarte. Soso, aha, zog sie das Ding durchs Lesegerät, augenblicklich schrumpfte der Betrag. Schweigend zahlte ich und grußlos schieden wir voneinander. Vielleicht, dass ich unverdient ein Geschenk erhalten hatte. Doch tatsächlich halte ich mich nicht der Demenz verdächtig. Tüte, Eis und Portemonnaie habe ich auf jeden Fall eben noch in der Wohnung gesehen.

Kulinarisches

Eier von christlichen Hühnern

Posted by Sascha Preiß on

Weil Ostern bzw Пасха (Pas-cha) das wichtigste Fest christlicher Kirchen ist, und nach dem Ende der Sowjetunion der orthodoxe Glaube in Russland deutlich zugelegt hat, werden neuerdings auch die Tiere missioniert. Erfolgreich. Auf den Eiern dieser gläubigen Hühner ist der Ostergruß „Christus ist auferstanden!“ zu lesen: Христос воскресе!, gemeinsam mit der Sortenbezeichnung С1. Über die Methoden von Missionstätigkeit und Religionsausübung in den „Vogelfabriken“ – gibt es Hühnerkapellen, gibt es einen Hühnergott? – ist bislang nichts bekannt.

Ästhetik/Kulinarisches

33 Stunden später

Posted by Sascha Preiß on

Gegen 03:45 Uhr war ich zur Überzeugung gelangt, dass es definitiv unmöglich sei, auf mechanischem Weg eine künstliche Intelligenz als Kopie aller Funktionsweisen des menschlichen Gehirns zu erschaffen. Dafür war dieser Nervengewebshaufen im Kopf schlicht zu effektreich.

Wohl gegen 03:15 Uhr war ich in der trockenen Raumluft mit Durst aufgewacht, stand auf, etwas zu trinken, legte mich wieder hin zum Weiterschlafen. Und dann fiel mir die Antwort auf eine Frage von vor 33 Stunden ein. Eine Antwort, die im Fernsehen vielleicht 500.000 Euro wert sein könnte, vollständig belanglos und unnütz: Wie heißt das Sushi, das aus einem fingerdicken Reisblock besteht und mit Fisch, Meeresfrüchten oder Omlette belegt wird (zzgl vier Antwortmöglichkeiten)? Selbstverständlich klang die mir damals gestellte Frage etwas profaner: Wie heißen diese Teile da (zzgl dem Zeigefinger auf die Deko an der Wand)? Dass das Hirn sich 33 Stunden mit derartigem Scheiß beschäftigt, um dann schließlich und unerwartet die Antwort auszuspucken, mitten in die Nacht hinein selbstverständlich, während der Schlafphase plötzlich den Hirnträger mit völlig kontextlosen Wörtern und Erkenntnissen befällt, dass der vom Schlaf abgehalten wird, weil er dieses Stück Geistesblitz irgendwo einsortieren muss, verdammte somnambule Kopfpuzzlelei – das muss man als Hirnforscher und Roboterdesigner erstmal hinkriegen.

Vor 33 Stunden saßen wir in einer kleinen Sushi-Bar, die vom Interieur an Berlin Mitte um 2000 erinnerte. Trocken funktional, Grundfarbe grau, indirektes Licht mit Farbeffekten, erlesen-luftige Speisekarte, das Ganze mehr Design als Charakter. Wenn man gezielt am „Fila-Boom“ vorbei auswählte (Sushi incl. Philadelphia-Frischkäse, sehr eklig, in Irkutsk durchaus häufig), konnte man trotzdem gut essen. Und an der Wand, um den großen Fernseher mit Japan-Werbevideo herum, Plaste-Sushi aus dem Schnick-Schnack-Laden, Lachs, Tunfisch und Krebs. Und ich wusste nicht mehr, wie diese Dinger hießen. Aber mir war das wirklich egal. Doch obwohl wir beim Hinausgehen fanden, dass diese Bar nicht unser beliebtester Laden in der Stadt werden würde, schien sie ausreichend Eindruck hinterlassen zu haben, dass die unbeantwortete Frage in meinem Zentralnervensystem weiter umhergeisterte, „bohrend“. Daran konnten keine wunderbare sowjetische Komödie von 1968, gesehen mit Freunden am gleichen Abend, oder die Zubereitung von Gulasch am folgenden Tag oder stundenlanger Besuch etwas ändern. Und ja, auch beeindruckend wiederum so ein Hirn, ausgeklügelte Effekte wie plötzliches Nicht-Mehr-Wissen, Black-Out und Mir-liegts-auf-der-Zunge, dann aber doch Jetzt-hab-ichs, unerwartetes Erinnern und Geistesblitz, weil irgendwo im Verborgenen und Hintergrundrauschen an irgendwelchen Synapsen still und gemütlich die Transmitter von Axon zu Dendrit wanderten – – – Ich möchte den Roboter sehen, der nachts aufwacht und „Nigiri“ sagt.

(Bildquelle: Wikimedia)

Grenzenlos/Interkultur/Kulinarisches/Technik/Wildbahn

Wer glaubt mir das jetzt?

Posted by Sascha Preiß on

Da weilt man auf Einladung in Tuwa, dem geographischen Mittelpunkt Asiens.

Zu eigenen Ehren findet die traditionelle Schlachtung, gemeinsame Zubereitung und Verspeisung eines Schafes statt, zuerst im Dorf, ausgerechnet in der ul. Internationalnaja, dann am Ufer des Jenissej bis Sonnenuntergang.

Nach altem Brauch wird für die Gäste ein Schaf geschlachtet: ein kurzer Einschnitt in die Brust des Tieres, dann fasst ein Mann mit der Hand ins Innere und erstickt das Schaf durch Zudrücken der Aorta. Die Regel stammt noch von Dschingis Khan: nicht ein Tropfen Blut des Tieres darf die Erde benetzen. Das gestockte Blut muss ich dann essen. Nationalgericht! eurasisches magazin

UND DANN VERSAGT DIE SCHEIẞVERFICKTE DIGITALVERKACKTE MODERNE DRECKSTECHNIK!

Keine Fotos.

Interkultur/Kulinarisches

Skepsis

Posted by Sascha Preiß on

Alessandra, eine italienische Freundin, die seit einiger Zeit in Irkutsk lebt und am liebsten hier bleiben möchte, erzählte uns kürzlich von einem neuen Restaurant. Ein wirkliches italienisches Restaurant, schwärmte sie, im Stadtzentrum, das auch der ehemalige Bürgermeister der Stadt unterstützte. Alessandra hatte dessen Sohn dereinst Italienisch-Unterricht erteilt, was dem romanophilen Bürgermeister gefiel, weshalb er sie auch ein wenig unterstützte. Für das neue Restaurant, erzählte sie, habe sie nicht nur bei Ausstattung und Rezepten für die Speisekarte beraten, sondern auch den Namen des Restaurants beigesteuert: Antico Borgo, das alte Dorf. Küche und Einrichtung des Lokals seien daher auch ländlich gehalten, toskanisch, schlicht und ursprünglich, und durchaus nicht immer so, wie man sich italienisches Essen vorstelle. Das beschränkt sich ja im Grunde auf Tiefkühlpizza und Spaghetti Bolognese aus der Dose.

Nun bin ich bereits zwei Mal im Alten Dorf gewesen und reise dort sehr gerne immer wieder hin. In der Tat ein wunderschönes Lokal, in dem man ganz hervorragend essen kann. Beide Male aber war das Restaurant fast vollkommen leer. Die Preise sind vergleichbar mit den „deutschen“ oder sonstigen „nationalen“ Restaurants (empfehlenswert: Mongolisch!), die weit teureren Sushi-Lokale sind ebenfalls deutlich frequentierter. Qualitativ kann kein Pizza-Bäcker der Stadt mithalten, in der populären Fastfood-Kette „MacFood“ wird gern auch mal Pizza mit Majonnaise als Käseersatz angeboten. Auch Reklame ist vorhanden, ein großes Werbebanner ist über die vielbefahrene ulica Karla Marksa gespannt, eine Pappfigur weist den Weg in die ruhige Nebenstraße, in der das Antico Borgo gelegen ist.

Also muss das Verschmähen des vor zwei Monaten eröffneten, einzigartigen Lokals einen anderen Grund haben. Meine Mitarbeiterin aber sagte, das sei völlig normal. Ein neu eröffnetes Restaurant ist in Russland anfangs immer leer. Die Leute seien sehr zurückhaltend, um nicht zu sagen skeptisch, zwar auch neugierig, aber eben abwartend. Es brauche ein bisschen seine Zeit, bis es sich herumgesprochen hat und mit Gästen füllt. Aber dann kommen die Leute.

– Wenn niemand hingeht, wie soll es sich denn herumsprechen?

– Wir sind doch gerade drin.

– Zu wem gehst du nachher und berichtest?

– Weiß noch nicht. Vielleicht der Familie, Freunden. Geburtstage sind ein guter Anlass für Restaurantbesuche.

– Wissen Kunden eines neuen Lokals um ihren informellen Werbeauftrag?

– Selbstverständlich. Mündliche Weitergabe von Informationen ist unabdingbar für das Bestehen der russischen Gesellschaft. Jeder beteiligt sich daran, wie könnte er nicht?

– Wie kann man abwartend neugierig sein?

– Man könnte sagen, man möchte wohl gern, wartet aber auf einen Anlass mit persönlicher Einladung, mindestens aber auf persönliche mündliche Empfehlung einer vertrauten Person, um endlich ausprobieren zu dürfen.

– Die Information ist also, Zutrauen zu wecken?

– Zutrauen zur Neugier, ja.

– Ich vermute, interkulturelle Forschung ist nicht in Russland erfunden worden?

– Vermutlich nicht, nein.

Womöglich habe ich Alessandra ein paar zukünftige Gäste ins Dorf gelockt. Ein Kritikpunkt aber – und den hatte sie selbst angesprochen – ist das musikalische Ambiente.  Selbst für ein Restaurant, das ein antico im Namen führt, ist Italopop (Ramazzotti, Celentano etc) jenseits aller Atmosphäre.

Anti-Terror/Kulinarisches/minimal stories/Sprache/Wildbahn

Ein Öbstchen

Posted by Sascha Preiß on

Im Wald in Nähe der Stadt Angarsk in Nähe der Stadt Irkutsk in Nähe des Baikalsees irgendwo in Russland ist am 8.April 2010 zu nicht genannter Stunde vom Spürsinn des Hundes eines Wachmanns ein „Gegenstand“ entdeckt worden. Eingeleitete Untersuchungsmaßnahmen identifizierten das Fundobjekt als Handgranate vom Typ F-1. Auf welche Weise die leicht angerostete Granate in den Angarsker Wald gelangte, ist unbekannt. Fest steht, dass es aus Gründen der Gefahren- und Terrorabwehr zu umfangreichen Polizeisicherungen und dem Einsatz von OMON-Spezialkräften kam, im Laufe dessen weiträumige Evakuierungen um die Granate vorgenommen wurden. Fest steht weiterhin, dass sich im Russischen Liebkosungen ebenso wie Ironie durch Diminutiva ausdrücken lassen. Noch am ganz und gar selbigen Tage ward das zärtlich bezeichnete „Zitrönchen“ im Wäldchen unschädlich gemachet. Der Fundort des gefährlichen Obstes befand sich sinnvollerweise in Sichtweite des Einkaufzentrums „Apfelsine„.

Kulinarisches/Wildbahn

Literaturmarkt

Posted by Sascha Preiß on