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Irkutsk/minimal stories/Universität

Feierabend

Posted by Sascha Preiß on

Ich möchte einmal Windeln und Kamillentee kaufen. Die freundliche Apothekerin holt aus dem Lager ein großes, teures Windelpaket, da fliegt die Tür auf, herein stürmt ein halbwegs junger Mann mit Autoschlüssel und einem 1000-Rubel-Schein in der Hand und verkündet, er bräuchte sofort eine frisch verpackte Spritze. Hinter ihm betritt eine große, runde Beamtin irgendeines Sluzhbas minenlos und in Uniform den Raum. Das Lächeln der Apothekerin wankt kein Bisschen. Mit meinen Windeln an der Kasse hantierend, sagt sie dem jungen Mann, dass das 90 Rubel kostet und sie für den großen Schein wohl nicht genug Wechselgeld hat, er solle den sich besser irgendwo klein machen lassen. Aber das habe er doch schon überall probiert, wedelt er herum, wo soll er denn noch alles nachfragen, außerdem sei es dringend, ja, sein Hund liege krank im Auto. Die Apothekerin weist ohne stimmliche Regung auf mich als gerade zu bedienenden Kunden hin, die große Beamtin betrachtet intensiv die angebotenen Hustensäfte, der junge Mann scharrt mit den Füßen, ich verstaue umständlich Wechselgeld und Ware, aus den Augenwinkeln den Mann anblickend, der nicht wie ein Veterinärmediziner auf Rädern ausschaut. Die Apothekerin blickt in die geöffnete Kasse, seufzt einsichtig, hält dem jungen Mann ihre Hand hin, der legt seine Banknote hinein, sammelt dann das doch ausreichende Wechselgeld und steril verpacktes Spritzwerkzeug ein und flugs ist er verschwunden, dem Hund zu Hilfe eilend, und die Beamtin wendet sich von den Säften ab und nuschelt irgendeine Bestellung. Als ich die Apotheke verlasse, sitzt der Mann im vor der Treppe geparkten Auto, laufender Motor, getönte Scheiben, auf dem leeren Beifahrersitz die Verpackung, er sieht mich und beugt sich über etwas zwischen seinen Beinen. Kein Hund nirgends. Dass Drogen in Irkutsk ausgiebig konsumiert werden, lockt diese Tiere offenbar nicht mehr hinterm Ofen hervor. Die Statistik gibt für 2012 eine doppelt so hohe Abhängigenrate wie für den gesamtrussischen Durchschnitt an. Und weggeworfene Spritzen kann man eigentlich jeden Tag sehen. Mich überrascht dann doch die Selbstverständlichkeit. Niemand kann mir erzählen, dass die eisern lächelnde Apothekerin und die gezielt desinteressierte Beamtin nicht gewusst hätten, wozu der Mann eine frische Spritze braucht. Und dass er sich das Zeug bei laufendem Motor reinzieht, vor der Apotheke, zum Feierabend. Und dass auch ich eigentlich nur mental mit den Schultern zucke: Hm.

Naja.

Das Wetter/minimal stories

minimal story 21

Posted by Sascha Preiß on

Die beiden jungen Apothekerinnen haben bei dieser sibirischen Sommerhitze wenig zu tun. Schon mehrere Tage wurde es über 30° warm und auch durch diesem Sonntag Nachmittag weht kein Lüftchen. Die übliche Arznei-Kundschaft, 40-70jährige, die sich über handgeschriebene Einkaufslisten mit Schmerz- und Heilmittelchen versorgen, bleibt fern. So ist der junge Mann, der eine Großpackung Windeln kauft, beinah schon ein Ereignis, den die beiden Frauen neugierig und argwöhnisch zugleich betrachten. Als er nach weiteren Einkäufen erneut an der Apotheke vorbeikommt, stehen die beiden gelangweilten Frauen vor dem Laden. Eine verdrückt sich in die Ecke des kleinen Vorbaus und versucht unübersehbar, die Bierflasche unter verschränkten Armen zu verstecken. Als ihr selbst klar wird, dass dies nur unzureichend gelingt, wendet sie sich verschämt der Wand zu. Das Bild einer sich am Nachmittag während der Arbeit betrinkenden Apothekerin ist ihr offenkundig peinlich. Der Mine ihrer Kollegin ist dazu keinerlei Kommentar zu entnehmen.