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Kulinarisches/Russland

Nüchtern soll das Jahr beginnen

Posted by Sascha Preiß on

Während die Supermärkte sich vor dem Jahreswechsel noch kistenweise Sekt, Wodka und Bier in die Verkaufsräume stellten, beginnt 2013 in Russland mit dem durchaus ernst zu nehmenden Versuch, die Dinge etwas nüchterner zu betrachten. Nicht allein, dass die Preise für Wodka deutlich angehoben wurden. Auch sind in den vielen kleinen Kiosken der Innenstädte seit 1. Januar der Verkauf alkoholischer Getränke verboten.

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Diesen Pavillion, in dem sich gern die Intellktuellen des Mikroraions trafen, wird man seit Neujahr vermissen.

Grund für diesen Angriff auf das Russland-Stereotyp schlechthin ist der enorme Alkoholismus, an dem jährlich etwa eine halbe Million Menschen in Russland sterben. Im abgelaufenen Jahr traten mehrere Regelungen in Kraft mit dem Ziel, den Alkoholkonsum einzuschränken. So wurde Werbung für Hochprozentiges und Bier in beinah allen Medien untersagt. Dazu gibt es gesetzliche Versuche, den Alkoholkonsum in Flugzeugen vollständig zu verbieten. Bereits verboten ist der Verkauf von hochprozentigem Alkohol nach 22 Uhr. Und die bereits seit 2010 regional geltende Ausgangssperre für Jugendliche soll insbesondere den Alkoholkonsum Minderjähriger begrenzen. Wobei stark bezweifelt wird, ob diese Maßnahmen tatsächlich greifen.

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„Nur ein nüchternes Russland wird groß!“ Beworben wird ein Seminar für neue medizinische Ausnüchterungstechnologien.

Immerhin aber gibt es inzwischen auch Versuche, Nüchternheit jenseits von Alkoholverboten attraktiv zu machen. Insbesondere nationalistische Gruppen betrachten die russische Alkoholsucht als größtes Hemmnis gegen staatliche Prosperität. Auf vkontakte.ru, dem russischen Facebook, gibt es jährlich verschiedene Aktionen, den Jahreswechsel russisch zu feiern, also nüchtern und am Neujahrstag mit einem ordentlichen Skilanglauf. Und Gennadi Onishchenko, der Vorsitzende der russischen Verbraucherschutzbehörde, der nicht nur am geplanten und sehr weitreichenden Rauchverbot in Russland beteiligt ist, warb vor dem Jahreswechsel für ein alkoholfreies Fest im Kreis der Familie.

Wobei das neue Jahr wenig hoffnungsvoll begann: am Abend des 1.1.2013 wurde ein junger Mann auf dem zugefrorenen Irkutsker Stausee von einem betrunkenen Autofahrer überfahren und starb.

Baikal/Grenzenlos/Russland

Urlaubsplanung

Posted by Sascha Preiß on

Ein Freund war gekommen, ein lebensfroher Mann mit seiner Frau (die sitzt den ganzen Abend glücklich vor dem Fernseher und sagt kein Wort), beide nur für einen Abend am Baikal, auf der Durchreise: morgen zurück nach Irkutsk und in zwei Tagen gehts los nach Thailand, Winterurlaub am Strand. Ob er nicht mitkommen möchte, fragte er den Hausherrn schon beim Eintreten, Schnee, Wind und Frost habt ihr doch bis Ende April noch zur Genüge. Der kleine Scherz verglüht bei einem Begrüßungswodka, die Freunde gehen zur Plauderei über den Stand der Dinge in Irkutsk über, und lassen sich auch vom Abendessen nicht unterbrechen. Ein Kognak als Aperitif macht das Sprechen geschmeidig, und bei gebratenem Baikalfisch und einer halbvollen Flasche mäßigen Kartoffelschnapses fällt dem Freund sein Dzhingis-Khan-Wodka ein, das Geschenk für den Hausherrn, ein ganzer Liter in einer geprägten Metalldose. Den hat er aus der Mongolei mitgebracht, das trinkt dort niemand und wird nur für russische Touristen produziert, schmeckt auch nicht besser als deiner, sieht aber wesentlich beeindruckender aus, findest du nicht? Und also wird Dzhingis geköpft und das Gespräch geht flüssig weiter. Er, der Freund, war doch am 24.12. zur großen Demonstration in Moskau. Ihn als bekennenden Putin-Oppositionellen, der in Irkutsk ein Oppositionsbüro unterhält, ihn hat sein Unmut vor zwei Wochen in die 5300km entfernte Hauptstadt getrieben. Ja, das war schon toll, kein Vergleich zur fehlenden Unruhe hier, wenn er hier kein Internet hätte, wüsste er gar nicht, was vorginge; in Moskau dagegen seien alle ganz elektrisiert gewesen, von der Reibung mit Putins Apparat elektro-statisch hoch aufgeladen, also eigentlich gar nicht statisch, sondern höchst lebendig. Die Freunde lachen über den Scherz und stoßen auf den Erfolg an. Aber apropos Internet, die Flugtickets nach Thailand hat er vorgestern ruckzuck übers Netz gebucht, ob er die hier schnell mal ausdrucken könnte? Aber was denn für ein Erfolg, fragt plötzlich der Arbeiter aus Novosibirsk, der die ganze Zeit aufmerksam zuhörend und verhalten nippend am Tisch gesessen hat, was soll denn passieren, wenn Putin wirklich weg ist? Na was wohl, ruft der Freund aus, dann kommt ein Neuer, einer von uns, einer aus dem Volk! Ach, das Volk?, wird der Novosibirsker nachdenklich, wir sind doch alle zu dumm für sowas, nur Ameisen in diesem Land, ich will nicht von einer Ameise regiert werden. Warts nur ab, wirst sehen, alles ist besser als Putin, und jetzt muss uns erstmal jemand nachschenken – aber das Internet funktioniert bei dir?, wendet er sich an den Hausherrn, welcher nickt. Na los, dann sollst du mal sehen, wie einfach man buchen kann, du solltest das auch, wird dir gut tun! Bemüh dich nur nicht, ich hab gar kein Interesse an Thailand, aber den Computer schalt ich dir ein.

Der Arbeiter aus Novosibirsk ist dann schlafen gegangen und hat das Ende des Abends verschlafen. Am nächsten Morgen kam nämlich der Hausherr leicht verstrubbelt zu ihm und fragte, wie es ihm am Baikal gefällt und ob er noch lange hierbleiben wolle. Sie fahren nämlich nach Thailand. Na, nimmt er den ruhigen, aufhorchenden Menschen in den Arm, du weißt ja wie das ist, er, der Irkutsker Freund, ist schon auch überzeugend, erst sagt er komm doch mit, ich sage halt nein, ich will da nicht hin, hab keine Zeit und so, aber es sei wirklich nicht teuer, sagt er dann, und immer ein gieß noch mal nach – und zum Schluss…: na also das Haus gehört jetzt für zwei Wochen ganz dir, nur Hund und Katzen musst du regelmäßig füttern, dank dir sehr. Und damit macht sich der noch schwankende Hausherr ans Packen.

Anti-Terror/Russland

Das Leben kann so einfach sein

Posted by Sascha Preiß on

Heute: Ein russischer Vorschlag zur Überwindung von Finanzkrisen.

„Der russische Finanzminister Alexej Kudrin hat ein einfaches Rezept zur Aufbesserung der Staatsfinanzen: Er rief seine Landsleute am Mittwoch zum Rauchen und Trinken auf, um so die Steuereinnahmen zu erhöhen. Damit die Leute es verstehen: Wer Wodka trinkt und raucht, hilft dem Staat.

Indem jemand eine Packung Zigaretten rauche, trage er finanziell dazu bei, soziale Probleme zu lösen, führte Kudrin nach Angaben der Nachrichtenagentur Interfax aus.“

Kudrins Originalwortlaut bei vesti.ru.

Muss man dazu sonst noch etwas anmerken?

Irkutsk/Kulinarisches/Ulica

Bierkutsk

Posted by Sascha Preiß on

Dass in Russland viel und gern Alkohol getrunken wird, ist in der Tat kein Gerücht. Legendär sind die z.T. uferlosen Trinksprüche und ihre Regeln (jeder 3. Wodka sollte auf die Liebe getrunken werden) und die Tatsache, dass Feierlichkeiten ohne Alkohol unvorstellbar sind. Etwas trockener betrachtet die Statistik das Phänomen. Nach neuesten Erkenntnissen und Untersuchungen des russischen Kaufverhaltens werden pro russischem Einwohner und Jahr ca. 18 Liter reinen Alkohols konsumiert. In Wodka umgerechnet sind das jährlich 50 Flaschen. Statistisch trinkt also eine 4köpfige Familie alle 1,75 Tage bzw alle 42 Stunden einmal 0,5l 40%igen Kartoffelschnaps.

Tatsächlich ist der Wodkakonsum russlandweit, wie anders kaum zu erwarten, regional sehr unterschiedlich. Das Irkutsker Gebiet hat allerdings großen Anteil am hohen gesamtrussischen Durst: Die Zahl der schwer Alkoholabhängigen im Irkutsker Oblast liegt 62% über dem russischen Durchschnitt. Laut hiesigem Kaufverhalten des Jahres 2008 entfielen auf jeden Einwohner des Irkutsker Gebietes statistisch 101 Liter alkoholische Getränke.

Begründet wird diese starke Affinitiät zur Abhängigkeit u.a. mit historischen Wurzeln und dem kalten Klima, gegen welches starke Alkoholika helfen. Hinzukommen für den Irkutsker Raum auch noch eine überdurchschnittliche Arbeitslosigkeit und Armut. Die Maßnahmen zur Affinitiätssenkung reichen von Strafzahlungen für illegale Alkoholproduktion (im Irkutsker Gebiet im ersten Halbjahr 2009: 306.000 Rubel, etwa 7000 Euro) bis hin zu Vorschlägen zur Hebung der allgemeinen Lebensqualität, etwa durch „normale Einkommen“.

Wodka allerdings hat in Russland seit einiger Zeit eine Identitätskrise, der Verkauf sinkt trotz farbenfroher Bemühungen der Industrie. Der deutlich teurere Kognak gilt als stilvoller. Und konsumiert wird inzwischen hauptsächlich – Bier. Vorzugsweise europäische Braukonzerne (Heineken und Tuborg aber auch Holsten) haben sich  ausgebreitet und eigene russische Marken entwickelt, die sich bestens verkaufen. Sehr beliebt sind auch russische Dosen-Starkbiere mit 8 bis 10 „Umdrehungen“, wie es auch im Russischen genannt wird. „Ochota – Die Jagd“ heißt ein in Irkutsk populäres Kopfschmerz-Getränk, von dem niemand genau weiß, was wirklich drin ist. Ein Reinheitsgebot gibt es nicht.

In Irkutsk gab es lange Zeit mehrere deutsche Brauereien, die jedoch spätestens bis 1940 alle verschwunden sind. Exildeutsche oder einfach deutsche Kaufmänner und Händler hatten in Irkutsk und ganz Russland im 18. und 19. Jahrhundert Brauereien gegründet und nach Pilsener und anderer Brauart Getränke hergestellt. Heute gibt es in Irkutsk wieder eine ganze Reihe privater Brauereien, die sehr schmackhaftes helles und dunkles Bier nach Pilsener Art herstellen. Warum auf den Etiketten der Irkutsker Brauerei Peter Christian allerdings Hakenkreuze abgebildet sind, habe ich bislang nicht in Erfahrung bringen können.

Im Alltag ist der Alkoholkonsum durchaus als Problem angekommen. Nicht nur in Flugzeugen wird nirgendwo mehr Hochprozentiges angeboten. Ach auf öffentlichen Veranstaltungen und an der gesamten Irkutsker Uferpromenade darf kein alkoholisches Getränk mehr verkauft werden. Der Genuss von Alkohol ist jedoch nur halb verboten: er darf nicht für Kinder sichtbar sein. Das hat vielen Kiosken ein einträgliches Geschäft beschert: Bier, das gelegentlich auch als quasi-alkoholfreies Getränk betrachtet wird, kann man überall im Stadtzentrum (minimaler Fußweg von der Uferpromenade) nur noch mit bunten Papiertüten kaufen, in die die Flaschen gesteckt sind. Dank dieser glänzenden Idee ist der Alkoholkonsum auf der Straße fast vollständig verschwunden – man sieht eben kaum noch jemanden Bier trinken. Und trotzdem sind die Feste nicht weniger fröhlich geworden.

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Nachtrag, November 2010: Durch diesen Eintrag im (inzwischen eingestellten) Hitler-Blog von Daniel Erk bin ich auf eine einfache wie überzeugende Lösung gestoßen: Bis weit in die 1930er Jahre wurde das Hakenkreuz weltweit als Glücks- und Erfolgssymbol auf Etiketten und sogar frühe sowjetische Geldscheine gedruckt. Eine interessente Bilderserie dazu, in die sich das Irkutsker Bieretikett nahtlos einfügen würde, findet sich hier: http://www.sharenator.com/All_the_world_loved_Swastika_before_WWII/