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minimal stories

minimal story 19

Posted by Sascha Preiß on

Aus einigen Meter Entfernung beobachten die Filialleiterin und ihre Stellvertreterin die neue junge Kassiererin bei der Arbeit. Offenbar sind sie zufrieden mit ihrer betont sachlichen Kundenabfertigung nach vorgegebenem Schema. Plötzlich aber wird die Chefin hektisch, eilt zum Kassenbereich: Ein Obdachloser hat den Supermarkt betreten, die Kleidung schmutzig, das Gesicht dunkel und fleckig, schlurft er gekrümmt an den Regalen vorbei. He, was…… ruft die Chefin und starrt mit ihren Angestellten dem Gespenst hinterher. In sicherem Abstand folgt sie ihm, bereit sofort laut zu werden, sollte es die gute Ware berühren. Ein zweiter Bomsch erscheint im Eingang, klein, dunkel, tonlos. Die junge Kassiererin kichert ihn betrachtend. Der erste beendet seine Runde durch den Raum und hält auf ihre Kasse zu, an der Stellvertreterin vorbei, die einige Schritte beiseite gegangen ist. Irgendetwas murmelnd stellt er sich vor die blonde Frau, die auf ihrer Seite des Förderbandes den Atem angehalten hat, betrachtet das Schild, auf dem der Name Nadeshda steht, schaut ihr in die erschrockenen Augen, blickt noch einmal auf das Namensschild, murmelt etwas, läuft weiter zu seinem Kumpel. Und jetzt gehen Sie aber, ruft die Filialleiterin den beiden Gestalten nach, hinter ihnen schließt sich die automatische Tür. Die Kassiererin sucht einen Kaugummi gegen den Schluckauf, die Chefin wirft dem schläfrigen Wachmann einen strafenden Blick zu, dann ist auch die Luft wieder rein.

Kulinarisches/selbst

Die Sache mit dem Eis

Posted by Sascha Preiß on

Hin und wieder muss ich dann auch mal Lebensmittel einkaufen gehen. Vorgestern z.B. war so ein Tag, und gestern auch. Mit dem Kindergarten ist vereinbart, dass die Eltern einmal im Monat für die Verpflegung der lieben Kleinen aufkommen, heute morgen war ich mit der Pitanje an der Reihe, also bin ich spät abends noch in den nahen, fast rund um die Uhr geöffneten Supermarkt. Als jahrelanger Kunde erlebt man da so einiges. Die Belegschaft kommt und geht, manche Kassiererin grüßt mich bereits, manche ehedem Grüßende hat die Kassiererei für einen besseren Job aufgegeben, und manchmal vergesse ich auch mein Geld zu Hause, so dass die an der Kasse auf meinen Sachen sitzen bleiben. Meist ist aber alles ganz gewöhnlich. Gestern benötigte ich laut Einkaufsliste des Kindergartens mehrere Liter Milch, verschiedene Brote, Butter, reichlich Obst und anderthalb Kilo Quark. Für den eigenen Kühlschrank habe ich dann noch ein paar Eis in den Korb gelegt, bei den hohen Raumtemperaturen hat man regelmäßig Appetit auf eine Abkühlung. Gerade eben bin ich aber doch noch einmal losgezogen, weil neben dem Eis von gestern irgendetwas anderes zu Hause notwendig wurde. Der diensthabende Wachmann begrüßte mich sogleich freundlich, fast wollte ich ihn umarmen und ihn zu einem Wodka einladen. Er aber fragte nur, ob ich nicht von gestern ein Eis vermissen würde. Aber ja, erinnerte ich mich augenblicklich, von den vier in den Korb gelegten waren daheim nur noch drei in den Tüten auffindbar. Da reichte der freundliche Mann das verloren gegangene Stück und ich bedankte mich, ehrlich glücklich. Die Kassiererin, bei der ich bislang grußlos gezahlt hatte, schaute mich skeptisch an, weil ich das Eis unbezahlt in die Tüte steckte. Der Wachmann habe es mir gegeben, verteidigte ich mich, ohne angegriffen worden zu sein. Ich würde ziemlich regelmäßig hier etwas liegen lassen, klang sie doch ein wenig nach Vorwurf. Neinnein, das sei bestimmt das erste Mal gewesen, sagte ich und gab ihr meine Rabattkarte. Soso, aha, zog sie das Ding durchs Lesegerät, augenblicklich schrumpfte der Betrag. Schweigend zahlte ich und grußlos schieden wir voneinander. Vielleicht, dass ich unverdient ein Geschenk erhalten hatte. Doch tatsächlich halte ich mich nicht der Demenz verdächtig. Tüte, Eis und Portemonnaie habe ich auf jeden Fall eben noch in der Wohnung gesehen.

Irkutsk/minimal stories

minimal story 7

Posted by Sascha Preiß on

Das im April eröffnete neue, moderne Gebäude des Irkutsker Flughafens, in dem Abflug und Ankunft von Inlandsflügen abgefertigt werden, hat im Gegensatz zum alten Gebäude, das zur Abfertigung von Auslandsflügen genutzt wird, und aus Gründen der Sicherheit einen separaten Eingang mit Kontrollschranke und einen Ausgang ohne Kontrolle. Die Passagierin des soeben gelandeten Fluges aus Moskau betritt das Gebäude durch den „Ausgang“, durch welchen sie das Gebäude für eine Zigarettenpause, während sie auf ihr Gepäck wartet, verlassen hatte. Der Wachmann am Eingang verweigert ihr den Zutritt, es sei grundsätzlich unmöglich, den Flughafen durch den „Ausgang“ zu betreten, sie habe den offiziellen „Eingang“ zu benutzen. Dort staut sich ein langer Strom von Passagieren an der Kontrollschranke, die mit dem Flugzeug nach Moskau fliegen wollen. Die Passagierin zeigt ihre Bordkarte und erklärt, dass sie lediglich für fünf Minuten das Gebäude verlassen hatte und auf ihr Gepäck wartet. Der Wachmann verweist auf den für alle Passagiere geltenden Eingang. Es entwickelt sich ein gestenreich geführter, von steigender Lautstärke geprägter Dialog, in dem die Dialogparteien beharrlich ihren jeweiligen Standpunkt durchzusetzen gedenken. Als die Passagierin einsieht, dass Argumente vergebens gewechselt sind, drückt sie den Wachmann beiseite und schiebt sich wütend ins Gebäude. Der Wachmann ruft ihr aufgebracht etwas hinterher. Beide schütteln frustriert die Köpfe.