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Anti-Terror/Irkutsk/Russland/Wildbahn

In den Fängen des „Krokodils“

Posted by Sascha Preiß on

Anlässlich des Besuches von Präsident Medwedjew in Irkutsk und der begonnenen Suche nach Lösungen für das Drogenproblem Russlands, veröffentlicht der Irkutskblog eine gekürzte Fassung eines Artikels aus der unabhängigen Zeitung Vostochnaja Sibirskaja Prawda. Die Reportage des Autors Bert Kork beschreibt einen Polizeieinsatz und vorangegangene Untersuchungen gegen eine Gruppe von Drogenabhängigen in der Kleinstadt Schelechow. Die Perspektive von Seiten der Beobachtungs- und Kontrollorgane verlässt der Autor dabei nie. Weitergehende Überlegungen zur Größenordnung des Konsums der Droge Desomorphin bzw. „Krokodil“ speziell oder des gesamten Drogenkonsums in Schelechow (und ganz Ostsibirien) stellt der Artikel leider ebensowenig an, wie Betrachtungen zu möglichen Auswirkungen von Drogenabhängigkeit auf die Demographie Russlands oder eine Analyse des Drogenkonsums als soziales und innergesellschaftliches Problem, wie es im Interview mit Evgenij Rojsmann anklingt. Die Reportage gibt allerdings Aufschluss über die öffentliche Wahrnehmung von und den Umgang mit Abhängigen (Tendenz zur Personalisierung, Verengung auf kriminelle Klein- und Problemgruppen, fehlende Persönlichkeitsrechte in der Berichterstattung, Strafvollzug als Lösungsansatz) und ist damit neben der Information über das gravierende Drogenproblem hinaus auch als Quelle zur Berichterstattung über Drogenkonsum im sibirischen Raum interessant.

Der russische Originaltext ist am 12.03.2011 erschienen und hier abrufbar. Die Fotos entstammen ebenfalls dem Artikel und sind als Slideshow hier zu sehen.

In den Fängen des „Krokodils“

Von Bert Kork

Die Paradoxie der Situation von Rauschgiftsucht und Drogenhandel im Irkutsker Gebiet besteht darin, dass, trotzdem Irkutsk in der russischen Statistik zur Drogenabhängigkeit einen vorderen Platz belegt, die Liste der verbotenen Präparate hier erfreulich stabil bleibt. Seit die Drogenwelle im letzten Jahrzehnt unser Land erreicht hat, ist der Genuss von Hydrochlorid-Diazetylmorphin, allgemein bekannt als Heroin, umgangssprachlich auch „Poroshok“ (Pulver), „Bjelyj“ (Das Weiße), „Hexogen“ oder einfach „Gex“ und „Geroi“ (Held) genannt, bei russischen Drogenkonsumenten nach wie vor am beliebtesten. Das ist deshalb erfreulich, da sowohl Ärzte als auch Rechtschutzorgane den Kampf gegen die Drogen angenommen haben – sie kennen die hiesigen Verbreitungswege der Drogenhändler und die Wirkung des Stoffes auf den Organismus gut.

Nach dem ersten Stich wird die Haut schuppig und der Körper fängt an zu faulen. (Das Foto wurde von "Gorod bez Narkotikov" zur Verfügung gestellt.)

Rauchmischungen wie „Dzhiwash“ und „Solej“ sind an Sibirien vorübergegangen (oder erst gar nicht bis zu uns gelangt) – geben Sie zu, Sie haben davon noch nie gehört. Aber im europäischen Russland richten Menschen damit ihren Verstand zu Grunde und sterben daran. Pilze und Halluzinogene sind für uns zu exotisch. Doch die Keime des ‚Neuen Bösen‘ treiben tief in den Osten aus. Meist wird in Berichten auf „synthetische Drogen“ verwiesen – Amphetamine und Ecstasy, die „Drogen der goldenen Jugend“. Vor Kurzem erschien jedoch ein neues Übel: Desomorphin, auch „Krokodil“ genannt. Krokodil kann von jedermann zu Hause aus codeinhaltigen Tabletten in Verbindung mit toxischen Substanzen hergestellt werden. Desomorphin macht die Haut zunächst schuppig, dann „verfault“ der Körper. Krokodil tauchte plötzlich von irgendwoher auf, als niemand es erwartet hatte.

Begraben

Die dampfenden Särge

Posted by Sascha Preiß on

Der evangelische Pfarrer reist durch die Region, betreut vorhandene und neu entstehende, kleine evangelische Gemeinden, hält Gottesdienste, Bibelnachmittage, hin und wieder ist auch ein Gemeindemitglied zu beerdigen. Die Friedhofskapelle ist im Winter für die Zeremonie beheizt, zur Außenluft herrschen je nach Witterung bis zu 60° Temperaturunterschied. Die Sargträger warten vor der Tür, bis die Trauergemeinde versammelt ist, dann tragen sie den Sarg in den warmen Raum und öffnen ihn für einen letzten Gruß an den Toten. Er ist gewaschen, frisiert, angekleidet, mit frischen Blumen geschmückt, die Haut glitzert leicht. In der Kapelle herrscht die übliche trockene Luft des kontinentalen, sibirischen Klimas. Während der Zeremonie entweicht aus dem Sarg die feuchte Kühlhauskälte des Toten als zarter Dampf. Ein physikalisches Phänomen mit supranaturalem Charme.

Aufsteigender Wasserdampf der Angara bei -25° Lufttemperatur

Anti-Terror/Baikal/Das Wetter/Irkutsk/Ulica

Zwischenstand

Posted by Sascha Preiß on

Was seither geschah:

Das Jahr 2010 hält Irkutsk mit ungewohnt langem, strengem Frost gefangen, weshalb schon einmal Warmwasserleitungen unter der Straße platzen oder sich Autos entzünden. Aufgrund der starken Schneefälle gibt es bereits Befürchtungen starker Frühjahrshochwasser und die Aufforderung, bis zum 1. März die Dächer von Schnee und Eis befreit zu haben. Trotz eigener Schwierigkeiten hat sich aber der Irkutsker Oblast an der humanitären Hilfe für die vom Winter hart getroffene Mongolei beteiligt.

Die Sehnsucht nach wärmeren Temperaturen scheint für viele ein Grund zu sein, auch dem politischen Klima etwas  Feuer zu machen. Manche sind deutlich sichtbar politisch aktiv geworden und werden die für den 14. März angesetzten Bürgermeisterwahlen kritisch zu begleiten wissen und weiterhin für die Stillegung des Zellulosekraftwerks Baikalsk demonstrieren.

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Apropos Feuer: Anfang Februar ist ein Teil des Schelechower Aluminiumwerks durch eine Brandexplosion zerstört worden, wobei drei Arbeiter getötet und eine unbekannte Zahl Arbeiter verletzt wurden. Aufgrund der Rauchentwicklung waren die Einwohner Schelechows und des Dorfes Olcha aufgefordert, sicherheitshalber in ihren luftdicht abgeschlossenen Wohnungen zu bleiben. Die dunkelgrüne, aluminiumoxid-haltige Rauchsäule zog gen Süden ab. Als Brandursache wird ein Kurzschluss vermutet.

Deutlich klarer scheinen die Ursachen der Brände im geplanten Museumsviertel an der Straße des 3. Juli in Irkutsk. Eine ganze Reihe von bewohnten alten Holzhäusern der Straßen des 3. Juli und Sedova sind in kurzem Abstand ausgebrannt. Die Feuerwehr vermutet einen Pyromanen am Werk, manch einer munkelt aber eher Brandstiftung, um die Häuser für die Sanierung als sibirisches Vorzeigeviertel vorzubereiten.

Ansonsten sind die Olympioniken des Irkutsker Oblastes, wie die Mehrheit der russischen Sportler, in Vancouver nicht ganz so erfolgreich wie erhofft. Trotz vorderer Platzierungen ist erst ein Edelmetall nach Irkutsk gekommen. Aber das war spektakulär: Erstmals in der olympischen Geschichte gewannen mit Aleksander Subkov  und Alexej Voevoda zwei russische Sportler im Zweierbob die Bronzemedaille.

Dafür sind die Renten auf 1862 Rubel erhöht worden, das sind nun monatlich 46 Euro.

Und manchmal kommt es vor, dass die Erde auch in Irkutsk deutlich spürbar bebt.