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Irkutsk

Trauerflor

Posted by Sascha Preiß on

Nach der Flugzeugkatastrophe von Smolensk am Samstag hatte Präsident Medwedjew für den heutigen Montag Staatstrauer angeordnet. Das Ereignis im äußersten Westen Russlands hat selbstverständlich auch in Ostsibirien Spuren hinterlassen. Zwar waren die Blumen, die Irkutsker Bürger am polnischen Generalkonsulat niedergelegt hatten, aus Witterungsgründen bereits weggeräumt, doch die Trauerkerze und das Foto des verunglückten Präsidentenpaares am Konsulatseingang wird noch eine Weile bleiben. Gemäß präsidialer Weisung waren alle Fahnen auf öffentlichen Gebäuden auf Halbmast gesetzt oder trugen Trauerflor.

Trauerbeflaggung auf der Irkutsker Duma

Der Gouverneur kondolierte dem polnischen Konsul Krzysztof Csajkofski. In Irkutsk leben etwa 20.000 Polen in verschiedenen Gemeinden, bekannt ist die römisch-katholische Kirche in Nähe des Kirow-Platzes, in der regelmäßig Orgelkonzerte stattfinden. Die Irkutsker polnischen Gemeinden entstanden Mitte des 19.Jhd, als insgesamt etwa 20.000 Polen aus politischen Gründen nach Sibirien verbannt wurden.

Die Anteilnahme der Bevölkerung an der heutigen polnischen Tragödie ist hoch. Manche hat im Gespräch über den Anlass des offiziellen Trauertags Tränen in den Augen. Die Erinnerung an die Flugzeugabstürze der Jahre 1994, 2001 und 2006, bei denen je über 120 Personen ums Leben kamen, sind noch frisch. Russland ist leider nicht arm an verheerenden Flugzeugunglücken, sei es mit der jetzt abgestürzten Tupolew Tu-154 oder mit Flugzeugen anderen Typs. Etwas befremdlich ist der diesjährige Zusammenfall mit staatlichem Trauertag um dem wieder verstärkt gefeierten Tag des Kosmonauten, der in der Sowjetunion zu Ehren Juri Gagarins am 12. April begangen wurde. Bekanntlich war Gagarin an diesem Tag nicht nur erster Mensch im All, sondern wurde wenige Jahre später ebenfalls Opfer eines Flugzeugunglücks.

Irkutsk/Russland

Tag der Einheit

Posted by Sascha Preiß on

 Der „Tag der Einheit des Volkes“ ist einer der jüngsten Feiertage in Russland, und um ihn zu popularisieren wird dazu ein umfangreiches nationales Volksfest zelebriert. Das schließt auch aufklärend positive Berichterstattung zu den Feierlichkeiten ein:

День народного единства отметили в Иркутске | Новости Irk.ru

Während das Bild im Artikel von Tanz und Heiterkeit und der Gouverneur des Irkutsker Oblasts von der Einheit der sibirischen Nationalitäten in Zeiten der Krise künden, denn in Krisenzeiten ist nichts so wichtig wie Folklore und nationale Erbauung, so spechen die letzten beiden Absätze die eigentliche nationalistische Kernidee des Feiertags aus: Neben Tanz und Gesang ist der traditionelle „Russische Marsch“ auch wieder veranstaltet worden (Plakate dazu waren in der Stadt angeklebt), auf dem so heitere Rufe wie „Ruhm und Ehre Russlands“, „Ruhm und Ehre dem russischen Imperium“ und „Ruhm und Ehre der Armee“ erklangen. Tief in der russischen Historie liege der Anlass für den modernen Feiertag, der einen verschütteten zaristischen Tag für die heutige Zeit wiederbelebt: Die Befreiung von der polnischen Besatzung 1612 wird gefeiert.

Die Kommentare lesen sich allerdings weniger begeistert, ein „dummer Feiertag“ sei es, Putin könne dem Land mehr oder weniger alles verordnen. Fragt man Studenten und Kollegen, ist häufig lautes Lachen über den 4. November zu hören. Dass sich in Russland die Feiertage jederzeit ändern könnten, sei die eigentliche Tradition.

Eine Datumssuche auf wikipedia.org zeigt für den 4.November u.a. folgenden Eintrag an: „1794: In der Schlacht von Warschau im Warschauer Vorort Praga schlagen russische Truppen den Kościuszko-Aufstand in Polen endgültig nieder. Nach der Schlacht kommt es zu einem Massaker an der Zivilbevölkerung. Der Aufstand bietet den Anlass zur endgültigen Liquidierung Polens 1795.“ Zwar handelt es sich um den 4.November des Gregorianischen Kalenders, der in Russland erst 1918 Einzug hielt, doch spricht dies dennoch von einem nicht zu übersehenden Zynismus des russischen Feiertags, der das russisch-polnische Verhältnis vollständig auf den Kopf stellt und national umwertet zugunsten eines Opfer-Helden-Mythos der russischen Seite.

Man kann sich nun überlegen, was dies über die politische russische Landschaft aussagt, auch im Zusammenhang mit der Aussage einer Kollegin, die interkulturelle Kommunikation unterrichtet, die sehr bestimmt sagte, dass die Russen ein besonders tolerantes Volk sind.