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minimal stories/Ulica

Anmerkung zur Situation des russischen Sports

Posted by Sascha Preiß on

Die hochgewachsene Studentin in Turnschuhen und Sportjacke tritt leichten Schrittes aus dem Bus auf die Straße. In der Hand hält sie eine daumennagelgroße Papierkugel, wahrscheinlich ein eingewickelter Kaugummi. An der Bordsteinkante hält sie inne und peilt den Mülleimer an. Routiniert wirft sie den Abfall zum Korb, konzentriert verfolgt sie, wie die Kugel deutlich vorbeifliegt. Ebenso routiniert ärgert sie sich kurz und geht schnell weiter. Ein Student in einer Bosco-Jacke, der dies beobachtete, hat inzwischen seine Zigarette aufgeraucht und geht auf den Bus zu. An der Bordsteinkante dreht er sich um und wirft die Zigarette Richtung Korb. Er trifft ebenfalls nicht. Auch wenn sportliche Ertüchtigung zum schulischen und universitären Pflichtprogramm in Russland gehört: Die Erschütterungen im Selbstverständnis aufgrund des schlechten Abschneidens bei den vergangenen beiden Olympischen Spielen in Peking und Vancouver sind nach wie vor deutlich sichtbar.

minimal stories/Ulica

minimal story 12

Posted by Sascha Preiß on

Ich hatte den Koffer, in dem wir einige ausrangierte Kleidungsstücke aufbewahrten, mit reichlich Papierabfällen aufgefüllt und in den Müllcontainer geworfen. Aus Nostalgiegründen hatte ich vorher noch einmal die nicht mehr genutzte Kleidung durchgesehen und mich zu erinnern versucht, warum ich z.B. dieses T-Shirt, das einmal ein Geburtstagsgeschenk war, nicht mehr tragen wollte. Aus irgendwelchen Gründen passte ich nicht mehr hinein oder es zu mir. Dass es wohl immer noch ganz gut aussehen kann, wurde mir erst wieder bewusst, als der Mann mit dem Kinderwagen am Zigarettenkiosk jenes Shirt trug. Oder wenigstens sah es meinem alten verwirrend ähnlich. Der Mann lachte das Baby im Kinderwagen an. Es machte nicht den Anschein, als würde er seine Nachmittage mit dem Durchstochern von Müllcontainern verbringen. Andererseits schien er, ausgehen vom Rest seiner Kleidung, nicht allzu wohlhabend zu sein. Ich mochte mir vorstellen, dass er ein bisschen stolz und glücklich über den gut erhaltenen Fund sei und daher fröhlicher als sonst. Dabei hatte ich ihn noch nie gesehen. Ich bemerkte, dass ich ihn taxierte, wandte mich ab und lief beschämt weiter. Es war eben auch möglich, dass schlicht zweimal das gleiche Shirt in direkter Nachbarschaft existiert hatten, und mir fiel das nur in diesem seltsamen Zusammentreffen auf.

– Sie meinen, die anderen Kleidungsstücke hätten auch noch auftauchen müssen?
– Vielleicht. Aber die Container waren zwischenzeitlich geleert worden.
– Wäre die Wiederkehr etwas Anderen aus dem Koffer, ein Hemd, eine Seite aus einer deutschen Zeitung, ein Beweis gewesen?
– Nein. Auch wenn es die Vermutung wohl gestärkt hätte. Ich war froh, nichts anderes wiederzusehen.
– Warum?
– Um den Alltag nicht als Anhäufung von Verdachtsmomenten erleben zu müssen. Was interessierte mich, woher jemand seine T-Shirts hatte.

Baikal/Irkutsk/Ulica

Müll in der Stadt

Posted by Sascha Preiß on

In Russland wird es überhaupt nicht gern gesehen, wenn Touristen den nicht gerade versteckt gelagerten Abfall fotografieren. Zur Beseitigung desselben wird allerdings auch nicht allzu viel Energie verschwendet, oder nur in Ausnahmefällen. Die dann sofort ausgezeichnet werden: Die Stadt Chabarowsk ist zu Ehren ihres Status‘ als sauberste Stadt Russlands auf dem 5000-Rubel-Schein abgebildet. Das augenfällige Fehlen von Abfall und Schmutz auf den Straßen der Hauptstadt des russischen Fernen Osten scheint bislang allerdings kein beispielhaftes Vorbild für andere Städte zu sein.
Irkutsk nämlich zählt seit heute wieder zu Russlands 50 schmutzigsten Städten. Hauptsächlich aufgrund der schlechten Luft, von veralteten Heizkraftwerken und dem hohen Verkehrsaufkommen beeinträchtigt, und der Zustand der Straßen, die nur auf den Hauptachsen hinreichend befestigt sind. Die Stadt versucht zwar, diesem Trend entgegen zu wirken, allerdings sind die finanziellen Mittel beschränkt und dringende Probleme zahlreich. Im Zuge der Vorbereitungen für die 350-Jahr-Feier 2011 werden Teile des Fuhrparks des öffentlichen Nahverkehrs erneuert, dringend notwendige Sanierungsmaßnahmen an Wohnkomplexen begonnen, Strom- und Wasserleitungen erneuert, öffentliche Gebäude renoviert, Straßen- und Fußwege ausgebessert. Dazu kommen teure Aufträge fürs Stadtprestige wie die Beschilderung der Straßen im Stadtzentrum mit ihren Bezeichnungen von 1910 oder der Wiedererrichtung des Moskauer Tores am Angara-Ufer. Grundsätzliche Sanierungen, etwa der Heizanlagen, einer kontinuierlichen Befestigung auch der Seiten- und Nebenstraßen im Zentrum oder einer deutlich verbesserten Müllentsorgung, fehlen. Das für die Kapazitäten der Stadt deutlich zu hohe Verkehrsaufkommen soll durch die Umgehungsstraße M-53 gemildert werden, die seit 10 Jahren geplant ist (Fertigstellung bis Juni 2010?).
Probleme, die bis zum Baikal reichen. Zwar ist das Zellulosekombinat in Baikalsk vorübergehend stillgelegt worden und damit eine wesentliche Quelle der Wasserverschmutzung, jedoch ausschließlich aufgrund finanzieller Probleme. Der See steht deshalb weiterhin in Gefahr, den Status des UNESCO-Naturerbes zu verlieren. Außerdem wird die zunehmende Verschmutzung der Selenga als wichtiger Zufluss der Ostseite zum Problem. Und nicht zuletzt nehmen Müll und Abfall in den Nationalparks am Westufer zu. Mindestens 9 große illegale Deponien existieren allein auf der Insel Olchon. Die Gebietsverwaltung hat nun mehrere Millionen Rubel zur Verbesserung der Situation bewilligt, wovon etwa flächendeckend Mülleimer auf Olchon aufgestellt werden sollen. Ein Urlauber beschreibt den Bedarf so: „Wir waren auf Olchon bei Chuzhir, ein Freund und ich haben mit dem Auto eine Viertelstunde nach Müllcontainern gesucht, und wir waren nicht die einzigen. Wir trafen einen Jungen, der seinen Müll auch nicht loswurde – er hatte 20 volle Mülltüten dabei.“
So bleiben wohl eine Reihe ungeliebter Fotomotive für Touristen bis zum Stadtjubiläum und darüber hinaus erhalten.

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