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Ästhetik/Interkultur/Russland

Ein typisch deutsches Tor

Posted by Sascha Preiß on

Sportliche Wettbewerbe zwischen Nationen haben ihren ganz besonderen Reiz. Es ist die Zeit des folkloristischen Patriotismus, nationale Klischees und Stereotypen sollen und dürfen hemmungslos ausgelebt werden. Für Fußballspiele internationaler Wettbewerbe kleiden sich Tausende in Trachten gemäß Angebot der regionalen Sportartikelhersteller und schminken sich ihre Landesflaggen auf alle möglichen Körperteile. Und weil die Fußballspieler auf dem Rasen als Nationalmannschaft auflaufen, ist ihr Spiel selbstverständlich stets Ausdruck eines (sportlichen) Nationalcharakters: die Kultur eines Landes offenbart sich immer und überall.

Das jedenfalls muss sich der russische Kommentator für die Live-Übertragung des Qualifikationsspiels Türkei – Deutschland am 7.Oktober 2011 in Istanbul gedacht haben. Seine Beschreibung und Analyse des von Thomas Müller erzielten 2:0 ist eine wunderschöne Definition dessen, wie Deutschland von Russland aus gesehen wird: Mit Bewunderung, aber ohne Begeisterung, weil Deutschland eine Aura klinischer Strenge umgibt. Während der Angriff, der zum zweiten deutschen Tor führt, vorgetragen wird, philosophiert der Kommentator darüber, was Joachim Löw am heutigen Spiel seiner Mannschaft alles nicht gefallen könnte. Doch als es plötzlich 0:2 steht, folgt die Analyse, gleichsam eine Epiphanie deutschen Nationalcharakters.

Der Wortlaut des Kommentars ab Sekunde 16 im Video: „Ein typisch (reines) deutsches Tor, wieder einmal. Wobei das in erster Linie nicht nur auf die Ausführung des gesamten Angriffs zutrifft, den haben die Deutschen wieder einmal ziemlich frisch vorgetragen, so wie die deutsche Auswahl derzeit spielt. Aber dann der letzte Schuss von Müller – das ist ein typisch deutsches Tor. Ohne irgendwelche Effekte, ohne besondere zusätzliche…. wie kann man das sagen… Schönheiten, oder so. Einfach Müller, ganz exakt, und mit dieser chirurgischen Genauigkeit rollt der Ball ins lange Eck.“

Ich finde das einen nachahmenswerten Ansatz für die Entwicklung der Sportreportage. Keine Analyse nach sportlichen Gesichtspunkten, sondern ein Hohelied auf nationale Charakteristika. Sollte sich die russische „Sbornaja“ für die EM 2012 in Polen und der Ukraine qualifizieren, wonach es derzeit aussieht, werde ich mich also bereits jetzt auf Reportagen freuen wie: „Ein Tor wie im Wodkarausch! Eine klassisch russische Ballstafette, matroschkahaft und balalaikaleicht dargeboten, ein wütend tänzelnder und kaum mehr nachvollziehbarer Weg durch die russischen Instanzen. Und der Abschluss von (Arschawin z.B.) gelang herrlich besoffen und voll des Glanzes orthodoxer Zwiebeltürme…..“

Architektur/Interkultur/Russland

[Update] Fotoausstellung

Posted by Sascha Preiß on

Unlängst wurde im Irkutsker Kunstmuseum „Gutshof von Sukachov“ eine Fotoausstellung eröffnet, die Bilder des deutschen Fotografen Stefan Koppelkamm aus der Reihe „Ortszeit – local time“ präsentierte. Die seit 2006 existierende und mittels Goethe-Institut weltweit verbreitete Ausstellung zeigt Fotografien von Gebäuden ostdeutscher Innenstädte kurz nach der Wende und noch einmal rund 12 Jahre später. Die schwarzweißen Ansichten werden kommentarlos dem Betrachter überlassen, als Hinweis dienen nur Stadt, Straße und Jahr der Aufnahme.

Die Ausstellungseröffnung verlief ohne größere Zwischenfälle. Der Chor „Poj-Friend“ (= Singfreunde) der TU Irkutsk sang ein Ode-an-die-Freude-Medley, in das auch einige sowjetische Pionierlieder eingeflochten waren. Die Bilderrahmen wurden erst kurz vor der Eröffnung fertig und nachdem alle Gäste gegangen waren brach ein Rahmen auseinander. Der Mitarbeiter des Kulturministeriums, der mir die Ausstellung zu organisieren ermöglicht hatte, lag mit Hüftbeschwerden im Krankenhaus. Und eine Kollegin einer anderen Universität antwortete auf die Frage, wie ihr die Ausstellung gefalle, dass das Bierfest vor wenigen Tagen ganz toll gewesen sei.

Ich hatte wenig Gelegenheit, mit den Anwesenden zu reden, da ich vor und nach der Eröffnungszeremonie mit der unerwarteten Flut geladener Journalisten zu tun hatte. Es gab zwei TV-Kanäle, eine Radioreporterin und einige Zeitungs- bzw Internetjournalisten. (Weil ich keinen Fernseher habe, bleibt mir von meinen eigenen Minuten TV-Ruhm nur ein einziges Foto.)

Nachdem dann wirklich alle gegangen waren, hielt mich noch die diensthabende Wachfrau auf und fragte, ob sie die Bilder richtig verstanden hätte. Denn die älteren der beiden Aufnahmen zeigten doch den wirklich hässlichen Zustand der Gebäude aus sozialistischer Zeit, also als „die Russen“ in der DDR waren. Und im Vergleich zu den schönen Fassaden der neueren Aufnahmen sei das doch dann ein ganz eindeutiges negatives Statement, also insgesamt eine antirussische Ausstellung. Meine Anmerkung, dass die Fotos keinerlei antirussische Propaganda intendierten und dies zu keiner Zeit im Sinne des Fotografen sei, ließ sie nicht gelten. Jaja, sie wisse doch, jeder habe nunmal seine Meinung und sie sähe in den Bildern nunmal eine Aufwertung Deutschlands und eine Abwertung Russlands. Und nein, sie möge und unterstütze diese Ausstellung überhaupt nicht. Dazu lachte sie höflich. Aber ich bräuchte mich nicht beunruhigen. Ihre Meinung behalte sie natürlich für sich und sage sie keinem weiter.

Und ich solle doch unbedingt wiederkommen.

[Update 04.11.2010] Nun kann man doch noch den Nachrichtenbeitrag des TV-Senders vesti.irk ansehen. Iwan, der Mann der Mitarbeiterin meiner Frau, arbeitet als Kameramann für den Sender (was mir zum Zeitpunkt der Aufnahme unbekannt war) und hat mir eine Kopie des Beitrags zukommen lassen. Die Einblendungen des Senders während der Nachrichten zu Personen etc, wie im Foto der Website, fehlen. Dafür bin nicht nur ich selbst zu sehen, sondern als allererstes Maria, die Frau des Kameramanns beim Betrachten der Bilder (nette Liebeserklärung), und später auch meine Frau, die unsere Tochter trägt. Herzlichen Dank!