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Anti-Terror/Grenzenlos/Russland

Die Möwe im Irkutsker Gebiet

Posted by Sascha Preiß on

Am 1. Dezember 2015 veröffentlichte Alexej Nawalnij, einer der bekanntesten Oppositionspolitiker Russlands und Leiter des Fonds zur Korruptionsbekämpfung, einen Film und einen Untersuchungsbericht, der sich mit dem russischen Generalstaatsanwalt Juri Jakowlewitsch Tschaika beschäftigt. Der Hauptvorwurf: Tschaika, seine Familie und Freunde bilden ein mafiöse Struktur, die sich mit hochkriminellen Methoden an Russland bereichern und das Geld ins Ausland bringen.

Ein wichtiger Teil der Untersuchungen zum Fall Tschaika beschäftigt sich mit Geschäften seines Sohnes Artjom im Irkutsker Gebiet zwischen den Jahren 2002 und 2011. Tschaika stammt aus Irkutsk, hat dort studiert und 20 Jahre gearbeitet. Viele seiner Kontakte stehen auch seinem älteren Sohn zur Verfügung, Mentoren, Unterstützer und Günstlinge. Und diese nutzt er, um 2002 eine einträgliche Reederei im nördlichen Oblastgebiet um Ust-Kut‘ zu übernehmen und auszubeuten: die Reedereidirektoren Peretoltchin und Palennij weigern sich, die Firma abzugeben. Am 30.12.2002 wird Palennij erhängt in seiner Garage aufgefunden, sein Tod wird als Selbstmord angegeben und nie untersucht. Erst 2012 veröffentlicht die oppositionelle Zeitung „Novaja Gazeta“ einen Bericht, in dem dieser Tod als Mord enttarnt wird und die Spur zu Artjom Tschaika führt. Ein zweiter Fall betrifft eine Salzmiene im Westteil des Irkutsker Gebietes.

Der Film zeichnet ein extrem düsteres Bild eines Landes, das in den Spitzenfunktionen von sowohl enorm vermögenden als auch zutiefst kriminell handelnden Personen besetzt ist: Es ist ein Geflecht aus Funktionären, Politikern, Juristen und Unternehmern, das kaum zu entwirren scheint und ganz gleich den Strukturen einer (Mafia-)Familie sich gegenseitig schützt und stärkt. Juri Tschaika reagierte auf den Film mit Anschuldigen, dieser sei auf Bestellung angefertigt. Offizielle Untersuchungen gegen den Generalstaatsanwalt Juri Tschaika, die den schweren Verdacht jahrelanger Protektion krimineller Geschäfte verfolgen würden, sind bis heute nicht erfolgt.

Der vollständige Bericht ist unter http://chaika.navalny.com in russischer Sprache einsehbar. Den Film kann man mit englischen Untertiteln via youtube sehen.

Baikal/Grenzenlos/Russland

Baikalwasser

Posted by Sascha Preiß on

Ich wollte eben irgendwas tun, ganz konkret, praktisch, weil ich ein praktischer Mensch bin, da kam mir die Verteilung in den Sinn, von oben nach unten, geografisch gesehen, räumlich, ganz konkret und praktisch, wo doch die Ressourcen so dermaßen ungerecht eingerichtet sind, nicht wahr, dass einem die Tränen kommen, dass man sie gar nicht mehr zurückhalten kann, nicht wahr, wenn man ein ehrlich empfindsamer Mensch ist, nicht gleichgültig dem harten Schicksal gegenüber, das man da unten erdulden muss, wegen dem sich die Leute dort seit beinah ewig ans Kreuz nageln, und das ist doch bedauernswert, da kann man doch gar nicht still sitzen und sein Wässerchen genießen, geweiht oder nicht, auch und schon gar nicht in unseren trockenen, ungläubigen, verwilderten, kontinentalen Breiten, Tiefen oder Höhen, wie Sie wollen. Und wenn jemand Durst hat, da muss man doch helfen, dachte ich mir, wenn dort quasi alles übern Jordan geht und die Meere schon seit Ewigkeiten tot sind und immer toter werden, jeden Tag ein paar Tote mehr, dann kann man eben nicht nein sagen, dann darf man nicht hartherzig und erbarmungslos sein, denn die zahlen ja auch prächtig, und ein jeden rührt das zu tiefst in der Seele, denn wo ein Mitgefühl, da auch ein Verdienst. Das war doch die größte Idee überhaupt, seit Jelzin sich zu Tode gesoffen hat, dass war einfach unsere Natur in Form von Wladimir, dem Dicken, eine selbstzufriedene Frohnatur, die überquillt vor theatraler, clownesker Energie, weil sie sprudelt, wie sie nur im TV kann, und manchmal sagen auch fette Männer in verschwitzten Hemden lustige Sachen, und das rechne ich ihm hoch an, dass er am nächsten Tag schon vergessen hätte, wovon er sprach, wenns nicht die Zeitungen aufgeschrieben hätten, und so floss eins ins andere, denn ich mochte diese Sache, also sagte ich: Ey, Wladimir!, und er sagte: Mensch, dawaj!, und so schütteten wir einfach unsere wilde, rauhe, endlose und beinah unberührte Natur – vergessen Sie so Popelkram wie Zellulose – dort in die Wüste, auf dass denen dort noch mal richtig was blühe, denn seien Sie ehrlich zu sich selbst, sagte der Dicke energisch: Unser Land hat nichts, was es anbieten könnte der Welt, außer seine Natur, und jetzt lassen wir mal den ganzen Mumpitz von wegen Öl und Gas und Holz und wiedergeborenen prähistorischen Blümchen weg, sondern konzentrieren wir uns auf das Wesentliche, ohne das das Leben ja einfach unmöglich ist, und da fließt nun mal seit Jahrtausenden der Rubel hektoliterweise ungenutzt durch unsere riesigen, menschenleeren, entvölkerten und seelenlosen Gegenden, wo es keiner braucht, während woanders die Leute ihr schönes Geld für Gewehre und so Sachen rausschmeißen, wovon sie täglich noch untoter werden als die versalzenen Meere und vertrocknenden Flüsse, aus denen sie leider schlürfen müssen, das muss man sich mal vorstellen: tiefste russische Lebensfreude, reinste Seele, klar und kalt, an überhitzte Mittelmeergemüter ohne Vorhaut, für 4 Dollar die 0,33l-Flasche! Damit hat man sich dann ne heilige Nase am See verdient.

Und die konnten wir dann in die Luft halten und das Aroma genießen. Obwohl: Unsere Luft ist so trocken, so staubig und so ohne Feuchtigkeit, verwüstet regelrecht, und die Schornsteine in der Stadt tun ihr Übriges, da fühlt man sich meist wie ein geräucherter Omul, den man sich auf der Zunge zergehen lassen sollte, solange es noch welche gibt, aber wir haben hier von allem dermaßen viel, eigentlich, da können die da unten nur von träumen, wenn sie tot sind. Hier sind Robben und Fische und Angler ohne Lateinkenntnisse und durchs Eis eingebrochene Fahrzeuge und verkrüppelte Kiefern und jede Menge Mülldeponien in freier Wildbahn, weil Platz, so viel Platz, dass wir für unsere Anlage gar nicht wussten, wo bauen, weil alles frei, keinen störts, und das ist ja quasi paradiesisch, aber wie anders doch in Jerusalem, komplementäre Welten, weil es da ringsum hauptsächlich Probleme mit dem Bauen und dem Platz gibt, was wir ja für uns wahrlich nicht behaupten können, hier ist ja alles viel zu groß, viel zu breit, viel zu viel und sowieso unendlich, entgrenzt, quasi irre, dass ein einzelner Mann das gar nicht erfassen könnte, weshalb unsere Firma auch von mehreren Leuten geleitet wird. Schauen Sie unseren See, er ist ein Wunder, ein Mirakel, ein Menetekel, voller Schekel, ein Brunnen und Quell reinster Freude, bzw eigentlich, recht und halbwegs nüchtern besehen, ein Unding von einem See, niemand weiß so recht, wieso der sich ausgerechnet hier, wo sowieso noch nie, jedenfalls nicht in prähistorischer Perspektive, etwas war und wahrscheinlich auch so bald nichts wirklich sein wird, denn der See bricht mit der kümmerlichen Geschwindigkeit von allerhöchsten 2cm pro Jahr auseinander und wird wohl auch ein bisschen tiefer dabei, man weiß es nicht, also auf die Jahre hochgerechnet haben wir in 50 Jahren gerademal einen einzigen Meter Ost-West-Ausdehnung hinter uns gebracht, wobei die Ufer an der breitesten Stelle nicht ganz 40km auseinander liegen, wofür sie also ungefähr 50x1000x40 = 2 Millionen Jahre gebraucht haben müssen, die gleiche Geschwindigkeit von Anfang an vorausgesetzt, Pi mal Daumen. Und nur ein Mal, ein einziges klitzekleines Mälchen hat man daran herumgebastelt, und prompt ging Alexanders zaristische Eisenbahn zur Hälfte baden. Aber als wir das Wasser wieder abpumpten und verschifften, konnte sie ja wieder auftauchen, das war wie einen Schatz heben, wie präparierte Amphoren für ehemalige Präsidenten im Tauchgang, super Aktion das, aber konnte man ahnen, dass so bald sich alles auflöst und weggespült wird, was bis dahin als Stabilität und Entwicklung ins Land gemeißelt wurde?

Ja man konnte, also sagen wir uns: Der ganze Baikal, der hier rumliegt, völlig umsonst, und die Leute tun nichts anderes, als sich das nur anzuschauen und kommen extra hierher, um romantisch zu werden, als sei es das Größte und Schönste, ist ja schließlich auch das Einzige, was es hier gibt und was man hier machen kann: Baikalspotting. Oder, hihi, nach dem Genuss von frischem Wässerchen, Baikalpissing, macht am meisten Spaß nachts, wenns schön kalt ist, nach der Banja, dann nackig rein ins Wasser und Wowa mit seiner riesen Wampe der Selbstzufriedenheit blieb am Ufer stehen, entblößte seinen ungeheuren, im Mondlicht bedrohlich farblos schimmernden Leib, in dessen unterer Mitte ein schnuckelig kleines Pimmelchen baumelte, das er ergriff, und pisste so gewaltige Mengen dampfenden Urins in den arschkalten See, dass wir daran sicher ersoffen wären, wenn uns Wowas viehisches Gelächter nicht gerettet hätte, und danach mussten wir uns selbstverständlich mit guten, sündhaft teurem Wässerchen reinigen, ist doch einleuchtend. Aber weil das natürlich wenig Zukunft zur Folge hat, zumindest keine rosige, muss man eingreifen, handeln, vor allem handeln, einen Markt schaffen, also logische Folge: verkaufen, alles, radikal und ratzekahl, in 300 Jahren spätestens sollte alles weg sein, wahrscheinlich, so lange noch mussten die Leute hier auf ihre Zukunft trinken, bevor sie endlich losgehen könnte, mit den vielen schönen Schekeln, die uns die durstigen Israelis dafür in unseren Rachen schmeißen würden. So fing es damals an, getan fast eh’s gedacht, und schwupps, schon stand die Anlage an der Angara und der Fluss wurde abgezapft und in schönstes Plastik verpfropft und die ersten Ladungen wurden verfrachtet. Da war nicht mehr viel Zeit, sie drängte, die allgemeine Stimmung im Land war so komisch, so ohne Humor und Wässerchen, dass man ahnte, es geht vielleicht doch nicht mehr so lange, wie der See den Bach runterfließt, also nehmen wir uns noch schnell, was uns gehören soll, bevor einer kommt, der meint, er müsse jetzt selbst hier nach Gold tauchen.

Aber so ist das dann, irgendwann ist man nur noch von Flaschen umgeben und nachher nur noch von Kalashnikows, und bald sieht man kein Wasser mehr und vom Land nur noch kleine Ausschnitte hinter hohen Mauern, weil irgendeiner pisst dir immer ins Glas und hatte bessere Verbindungen. So werden dann die folgenden 300 Jahre auch zugebracht sein. Nehmen Sie doch ein Glas, auf die Freundschaft und den Weltfrieden!

Baikal/Grenzenlos/Russland

Urlaubsplanung

Posted by Sascha Preiß on

Ein Freund war gekommen, ein lebensfroher Mann mit seiner Frau (die sitzt den ganzen Abend glücklich vor dem Fernseher und sagt kein Wort), beide nur für einen Abend am Baikal, auf der Durchreise: morgen zurück nach Irkutsk und in zwei Tagen gehts los nach Thailand, Winterurlaub am Strand. Ob er nicht mitkommen möchte, fragte er den Hausherrn schon beim Eintreten, Schnee, Wind und Frost habt ihr doch bis Ende April noch zur Genüge. Der kleine Scherz verglüht bei einem Begrüßungswodka, die Freunde gehen zur Plauderei über den Stand der Dinge in Irkutsk über, und lassen sich auch vom Abendessen nicht unterbrechen. Ein Kognak als Aperitif macht das Sprechen geschmeidig, und bei gebratenem Baikalfisch und einer halbvollen Flasche mäßigen Kartoffelschnapses fällt dem Freund sein Dzhingis-Khan-Wodka ein, das Geschenk für den Hausherrn, ein ganzer Liter in einer geprägten Metalldose. Den hat er aus der Mongolei mitgebracht, das trinkt dort niemand und wird nur für russische Touristen produziert, schmeckt auch nicht besser als deiner, sieht aber wesentlich beeindruckender aus, findest du nicht? Und also wird Dzhingis geköpft und das Gespräch geht flüssig weiter. Er, der Freund, war doch am 24.12. zur großen Demonstration in Moskau. Ihn als bekennenden Putin-Oppositionellen, der in Irkutsk ein Oppositionsbüro unterhält, ihn hat sein Unmut vor zwei Wochen in die 5300km entfernte Hauptstadt getrieben. Ja, das war schon toll, kein Vergleich zur fehlenden Unruhe hier, wenn er hier kein Internet hätte, wüsste er gar nicht, was vorginge; in Moskau dagegen seien alle ganz elektrisiert gewesen, von der Reibung mit Putins Apparat elektro-statisch hoch aufgeladen, also eigentlich gar nicht statisch, sondern höchst lebendig. Die Freunde lachen über den Scherz und stoßen auf den Erfolg an. Aber apropos Internet, die Flugtickets nach Thailand hat er vorgestern ruckzuck übers Netz gebucht, ob er die hier schnell mal ausdrucken könnte? Aber was denn für ein Erfolg, fragt plötzlich der Arbeiter aus Novosibirsk, der die ganze Zeit aufmerksam zuhörend und verhalten nippend am Tisch gesessen hat, was soll denn passieren, wenn Putin wirklich weg ist? Na was wohl, ruft der Freund aus, dann kommt ein Neuer, einer von uns, einer aus dem Volk! Ach, das Volk?, wird der Novosibirsker nachdenklich, wir sind doch alle zu dumm für sowas, nur Ameisen in diesem Land, ich will nicht von einer Ameise regiert werden. Warts nur ab, wirst sehen, alles ist besser als Putin, und jetzt muss uns erstmal jemand nachschenken – aber das Internet funktioniert bei dir?, wendet er sich an den Hausherrn, welcher nickt. Na los, dann sollst du mal sehen, wie einfach man buchen kann, du solltest das auch, wird dir gut tun! Bemüh dich nur nicht, ich hab gar kein Interesse an Thailand, aber den Computer schalt ich dir ein.

Der Arbeiter aus Novosibirsk ist dann schlafen gegangen und hat das Ende des Abends verschlafen. Am nächsten Morgen kam nämlich der Hausherr leicht verstrubbelt zu ihm und fragte, wie es ihm am Baikal gefällt und ob er noch lange hierbleiben wolle. Sie fahren nämlich nach Thailand. Na, nimmt er den ruhigen, aufhorchenden Menschen in den Arm, du weißt ja wie das ist, er, der Irkutsker Freund, ist schon auch überzeugend, erst sagt er komm doch mit, ich sage halt nein, ich will da nicht hin, hab keine Zeit und so, aber es sei wirklich nicht teuer, sagt er dann, und immer ein gieß noch mal nach – und zum Schluss…: na also das Haus gehört jetzt für zwei Wochen ganz dir, nur Hund und Katzen musst du regelmäßig füttern, dank dir sehr. Und damit macht sich der noch schwankende Hausherr ans Packen.

Grenzenlos/Wildbahn

Neues aus dem sibirischen Weltall

Posted by Sascha Preiß on

Begeben wir uns einmal in die Welt der Wunder. Russland ist ja nun ziemlich groß bzw „unsinnig groß“ (Daniel Kehlmann). Groß genug auf jeden Fall, dass die Wahrscheinlichkeit, in Russland Landungen von Außerirdischen beobachten zu können, deutlich (unsinnig) größer ist als etwa in den USA, obwohl es dort nach Einschätzung der Filmproduzenten beinah täglich der Fall ist. Aber auch Russland bzw die (noch viel unsinnig größere) Sowjetunion ist reich an Sichtungen unbekannter Flugobjekte und/oder wundervollen Phänomenen, die mit der Anwesenheit erdferner Lebenwesen erklärt wurden. Vorzugsweise tauchten UFOs in Moskau auf oder das ganze Land wurde außerirdisch infiziert; relativ viel diskutiert in UFO-Fachkreisen ist die Sichtung von Woronesch, die angeblich auch offiziell bestätigt wurde, einen Monat vor dem Fall der Berliner Mauer.

Nun ist es aber so, dass sich auch in den unendlichen Weiten Sibiriens hin und wieder Außerirdische den Hobbyfotografen zeigen. Die jüngste Sichtung eines UFO-Absturzes fand Anfang März 2011 ganz in der Nähe des Baikalsees bei Irkutsk statt. Die Anwohner mehrerer Dörfer waren durch Licht, Knall und Geruch derart irritiert, dass sich schließlich der Katastrophenschutz um die Sache kümmern musste. Auch wenn bei der Suche erwartbarerweise nicht allzu viel Sinnvolles zum Vorschein kam, das mit Außerirdischen zu tun gehabt hätte – ein YouTube-Video brachte ordentlich Schwung in die rasch abebbende Aufregung: Darin zu sehen ist ein überhaupt nicht großes, sondern zerbrechlich kleines, offenbar durch den Absturz letal verletztes Alien, das eigentlich niedlich wirken könnte, wenn es nicht leicht nach gegrilltem Hühnchen aussähe. Das Video bzw das Alien ist bis heute knapp 10 Millionen mal angeschaut worden. Der Film ist selbstverständlich nur ein netter Schülerstreich, der kleine Außerirdische besteht eben wirklich u.a. aus Hühnerhaut. Wäre ja auch zu schön gewesen, wenn es so ein Knirps quer durch die Galaxien (per Anhalter?) bis an den Baikal geschafft hätte. Ob er die Region dann ebenfalls mit Natur und Erholung assoziieren würde, ist eine andere Frage.

Und das ist der Unterschied zwischen Russland und den USA: was im wahnsinnig großen Russland als Handyfilm im Internet endet, wird dort unsinnig gewaltig auf die Leinwände der Multiplexsäle projeziert. Dabei fände ich es mal einen interessanten Versuch, einen Alien-Film aus Sicht der russischen Provinz zu erzählen.

– Hast du gehört, die haben ein Alien gefunden.

– Sowas kommt vor.

– Das soll nur so groß wie ein Hühnchen sein.

– Zu klein für guten Schaschlik.

– Vor allem Kopf und Leber sollen enorm groß sein.

– Den trink ich trotzdem untern Tisch.

– Und was, wenn es viele von denen gibt, sie sich hier vermehren und bleiben wollen?

– Gegen unsere Bürokratie haben die keine Chance.

(etc)

Grenzenlos/Irkutsk

УРА! [UPDATE]

Posted by Sascha Preiß on

Vor Kurzem gab es die Ankündigung, seit heute ist es amtlich: Ab 30. April 2011 wird die russische Fluggesellschaft „Yakutia“ zweimal wöchentlich, mittwochs und samstags, den Direktflug München – Irkutsk betreiben. Die Strecke soll mit einer Boeing 757-200 geflogen werden.  Was das kosten wird, kann man bereits ab Morgen, den 22.12.2010, erfahren, denn dann werden die ersten Tickets angeboten.

Wer also noch kein Weihnachtsgeschenk hat: Wie wärs mit einer Baikal-Reise?

[UPDATE] 24.12.:

Inzwischen ist klar, dass die Flüge in beide Richtungen mittwochs und samstags angeboten werden (15.00 ab München – 5.45 an Irkutsk, Folgetag / 10.00 ab Irkutsk – 11.15 an München, gleicher Tag) und SENSATIONELL für 14.000 Rubel zu haben sind, was beim momentanen Kurs (1:40) gerademal 350 Euro sind! Also: WEITERSAGEN.

Und Fröhliche Weihnachten. 🙂

Baikal/Fernost/Grenzenlos

Alpen – Baikal

Posted by Sascha Preiß on

Die Gespräche dazu liefen seit einigen Jahren, nun endlich ist die erste offizielle Ankündigung raus: Ab Frühjahr 2011 wird es eine direkte Flugverbindung von München nach Irkutsk geben (bisher war immer nur von Planungen die Rede).  Aufmerksame Russlandkenner wissen, dass so eine Ankündigung nicht unbedingt viel bedeuten muss, aber bleiben wir optimistisch. Für die russische Seite ist die Frage der Beantragung von Schengen-Visa klarerweise von entscheidendem Interesse. Eine deutsche Auslandsvertretung gibt es in Irkutsk nicht. Zwar befindet sich ein polnisches Generalkonsulat in der Stadt, aber auch mit einem polnischen Schengen-Visum kann man nicht direkt über Deutschland in die EU einreisen. Seit Sommer laufen daher die Gespräche zwischen dem deutschen Generalkonsulat im 1600km entfernten Nowosibirsk und dem polnischen GK Irkutsk über die Erteilung deutscher Visa, beide Seiten sind sich einig, dass das Sinn macht und sie zusammenarbeiten wollen. Die deutsche Seite geht von deutlich mehr als tausend Visa aus, die beantragt würden und zu erteilen wären. Die letztendliche Entscheidung über die Visavergabe in Irkutsk haben jedoch das polnische und deutsche Außenministerium in Warschau und Berlin. Wann von dort das OK kommt, war bei meinem letzten Aufenthalt in Nowosibirsk vor einer Woche nicht zu erfahren.
Da sich in Deutschland ausreichend russische Konsulate befinden, etwa auch in München, ist für interessierte deutsche Reisende der Weg an den Baikal relativ offen, abgesehen vom inzwischen dank fehlender Bemühungen des deutschen Außenministers verschärften Antragsprocedere. Ich hoffe inständig, dass die deutsch-polnischen Gespräche besser laufen.

Nun also die Ankündigung für „Frühjahr“. Offen ist, wie häufig die Verbindung angeboten werden soll, mit welcher Fluglinie betrieben wird und was das etwa kosten wird. Die Flugzeit würde vermutlich 7,5h betragen. Bisherige Routen führen sämtlich über Moskau, Reisezeit nach Berlin: 15h, Kosten hin und zurück: rund 600,-. Nur für alle, die fragen, wofür man so einen Flug z.B. braucht: Der Baikal ist Russlands drittgrößtes Tourismusgebiet nach Moskau und St. Petersburg; mit Abstand größte Touristengruppe: Deutsche. Eine Aufwertung Sibiriens als Wirtschaftsregion inclusive. Auch aus russischer Sicht ist eine Direktverbindung aus Ostsibirien nach Westeuropa wichtig, um die wenigen vorhandenen Partnerschaften auszubauen und neue zu schließen. Direktflüge ins Ausland sind von Irkutsk aus bisher nur nach Asien möglich.

Wer jetzt Lust verspürt, ab Frühjahr mal vorbeizufliegen, darf sich ruhig bei mir melden.

Der heilige Felsen auf der Insel Olchon

Grenzenlos/selbst

Die letzten Tage meines Bruders

Posted by Sascha Preiß on

I

Zwei Wochen lang hatte ich eine Katze zu hüten.

Meine Eltern fuhren voll quälender Ungeduld, Furcht nach Frankreich.

Zwei Wochen vorher hatte mein Vater nach Gera telefoniert, sein Sohn und er stritten sich erneut, brüllten sich durch die Hörer an, ergebnislos. Wenige Tage später hatte die Geraer Ärztin mit meinem Vater telefoniert, sehr ruhig. Sein Sohn habe gestern das Heim verlassen und sei nicht zurückgekehrt. Er habe sein Zimmer gekündigt und die Auszahlung seiner noch verbliebenen finanziellen Mittel für diesen Monat verlangt. Sie sah keinerlei Handhabe, sich seinen Forderungen zu widersetzen, sie könne ihn nicht anbinden. Der Sohn sei seit gestern mit einem Freund, ein ehemaliges Heimmitglied, unangenehmer Zeitgenosse, aus dem Haus, gemeinsam wären sie die Straße in Richtung Bahnhof gegangen bzw der Sohn im Rollstuhl gefahren. Einen Aufenthaltsort hätten sie nicht angegeben.

Meine Eltern verfielen in eine Panik, die sich als strenge Pragmatik äußert. Sollten sie dem Sohn, 3 Tage nach seinem Weggang, folgen? Wenn ja, wohin? Sollten sie den geplanten Urlaub absagen und in ihrer Wohnung warten, ob er wieder eintreffen würde? Sie waren sich beide im Klaren, dass es vergebenes Warten wäre. Mein Vater telefonierte mit mir, erklärte ruhig die Situation, teilte mir den Entschluss mit. Sie fuhren ab, hinterließen mir Telefonnummern für den Fall einer Entwicklung. Sie wussten, dass nur eine Entwicklung anzunehmen war. Mein Vater sagte, dass mit allem zu rechnen sei. Was bedeutete, nur mit diesem einzigen. Meine Eltern warteten darauf in Frankreich, ich im Beisein einer Katze.

Ich begab mich in die Wohnung des ebenfalls verreisten Freundes und betrachtete das schwarze Tier. Es hatte bei meinen gelegentlichen Besuchen auf meiner Schulter gesessen und den salzigen Schweiß meiner Achseln aus meinem Hemd geleckt. Jetzt beobachtete es mich aus sicherer Entfernung.

II

Aus den wenigen Dokumenten geht hervor, dass mein Bruder mit der Bahn von Dessau nach Magdeburg gefahren und ohne gültigen Fahrausweis angetroffen worden war. Der Leitung des Geraer Heimes lag eine Zahlungsaufforderung der Bahn an meinen Bruder vor, die offenen Transportkosten zzgl Straf- und Bearbeitungsgebühren in Höhe von … zu begleichen. Bei Verlassen des Heimes betrug sein Barvermögen zwischen 120 und 80 Euro, den Großteil hatte die Heimleiterin ihm aufgrund seiner Forderung ausgezahlt, hinzu kam wohl noch ein wenig in bar Gespartes. Die Bahnreise durch Sachsen-Anhalt hatte eine Woche nach seiner Flucht stattgefunden.

Desweiteren konnte nachgewiesen werden, dass ihm das Verlassen der Bundesrepublik Deutschland in Richtung Niederlande von den deutschen Grenzbehörden an einem Grenzübergang bei Münster untersagt wurde. Er war mit seinem Begleiter, dem ehemaligen Heiminsassen, als Fußgänger am Grenzposten erschienen, lediglich der Begleiter durfte weiterreisen. Mein Bruder wurde trotz gültigen Passes abgewiesen und musste im Land verbleiben, die Gründe der Abweisung sind unbekannt. Daraufhin trennten sich die Reisenden. Mein Bruder hatte kurz darauf einige Tage Quartier in einem Hotel in Münster bezogen. Während des dreitägigen Aufenthaltes im Hotel leerte er die im Zimmer befindliche Minibar und verwüstete das Zimmer. Für die aus den Schäden resultierenden Kosten zzgl der hohen unbeglichenen Rechnung versuchte die Hotelleitung, meine Eltern haftbar zu machen. Allerdings erfolglos, da das Hotel den Gast nicht hätte aufnehmen müssen und er soweit mündig war, für seine Taten selbst verantwortlich zu sein. Während des Aufenthaltes im Hotel hatte sich ein fachkundiger Gast um die ärztliche Versorgung meines Bruders gekümmert. Er gab an, dass die Füße verletzt waren, Abschürfungen aufwiesen, entzündet waren, glücklicherweise ohne ernsthafte Schäden. Er hatte die Füße mit Salben und Pflastern behandelt. Der Gast nannte meinen Bruder einen ruhigen Mann, der die ihm gebotene Hilfe dankend und freundlich angenommen habe. Dass mein Bruder medikamentös behandelt wurde, sei ihm nicht aufgefallen.

Einige Tage später, nachmittags, wurde mein Bruder im Tal unter einer Brücke in Düsseldorf tot aufgefunden. Aus Passantenbefragungen ging hervor, dass mein Bruder, allein und im Rollstuhl, lediglich mit sauberer Unterwäsche bekleidet – so war er entdeckt worden – auf der Brücke gesehen wurde. Er habe über das Geländer geblickt und sich kaum bewegt. Am Rollstuhl hingen T-Shirt und andere Kleidungsstücke. Etwa eine Stunde später muss er sich über das Geländer gezogen und ins Tal gestürzt haben. Dennoch ermittelte die Polizei in alle Richtungen. Meinen Eltern wurde angeboten, Fotos zur Identifizierung zu sehen. Sie lehnten ab und versicherten, dass weitere Ermittlungen überflüssig wären. Die Beamten sagten, mein Bruder habe sich wetterbedingt seiner Kleidung entledigt, den ganzen Tag habe in Düsseldorf die Sonne geschienen.

Mein Vater informierte mich in der Katzenwohnung telefonisch.

III

Die gesamte letzte Reise, eine Art Flucht, meines Bruder dauerte etwas über 4 Wochen. Das meiste ist vollständig unbekannt und es ist ungewiss, ob ich es je in Erfahrung bringen kann. Wo hat er außer in Münster übernachtet? Wie hat er sich ernährt? Wovon hat er gelebt? Aufgrund seiner schizophrenen Depressionen und Selbstmordversuche bedeuten diese letzten Tage eine ungeheure Anstrengung und Willensleistung, den Willen zu leben, eine ungewisse Zeitlang frei und ohne elterlichen Vormund und Heimaufsicht zu leben – immer mit dem konkreten Ziel zu sterben. Seltsam genug: Diese Reise verdient Bewunderung.

Grenzenlos/Interkultur/Kulinarisches/Technik/Wildbahn

Wer glaubt mir das jetzt?

Posted by Sascha Preiß on

Da weilt man auf Einladung in Tuwa, dem geographischen Mittelpunkt Asiens.

Zu eigenen Ehren findet die traditionelle Schlachtung, gemeinsame Zubereitung und Verspeisung eines Schafes statt, zuerst im Dorf, ausgerechnet in der ul. Internationalnaja, dann am Ufer des Jenissej bis Sonnenuntergang.

Nach altem Brauch wird für die Gäste ein Schaf geschlachtet: ein kurzer Einschnitt in die Brust des Tieres, dann fasst ein Mann mit der Hand ins Innere und erstickt das Schaf durch Zudrücken der Aorta. Die Regel stammt noch von Dschingis Khan: nicht ein Tropfen Blut des Tieres darf die Erde benetzen. Das gestockte Blut muss ich dann essen. Nationalgericht! eurasisches magazin

UND DANN VERSAGT DIE SCHEIẞVERFICKTE DIGITALVERKACKTE MODERNE DRECKSTECHNIK!

Keine Fotos.

Grenzenlos/Irkutsk/Statistik

Eine Meldung für potentielle Zivilisationsflüchtlinge

Posted by Sascha Preiß on

Während sich in Deutschland die Bundesnetzagentur auf die Versteigerung alter und neuer Frequenzen vorbereitet, um eine lückenlose Internetnutzung in Deutschland zu gewährleisten, ist eine Internetlandkarte ohne weiße Flecken im Irkutsker Gebiet auf absehbare Zeit nicht zu erwarten. Auf der Hand liegt, dass die enorme Gebietsgröße (mehr als doppelt so groß wie Deutschland) und schwache Besiedlung (71,5 mal geringer als Deutschland) eine flächendeckende Internetnutzung auch kaum wahrscheinlich werden lässt.  Wer sich also vor den Zurichtungen modernen Lebens in Sicherheit bringen möchte, ist hier gut aufgehoben, herzlich willkommen.

Dass man als Universitätsdozent in der russischen Provinz nach wie vor mit völliger Nicht-Nutzung des Internet von Studierenden konfrontiert wird, ist dennoch immer wieder überraschend.

– Wo finde ich Informationen über dies und das in Deutschland?
– Schauen Sie dafür am besten auf folgende Webseiten.
– Haben Sie nichts, was ich kopieren und mitnehmen kann?

Mag sein, dass auf Papier Gedrucktes grundsätzlich vertrauenerweckender ist als gestaltloser Bildschirmtext. (Papierbasierte Kommunikation ist eine der Säulen, auf denen u.a. hiesige Verwaltungsarbeit, mithin Gesellschaft beruht. Papier, auf denen eine Unterschrift steht, ist Zeugnis menschlicher Existenz. Maschinenerstellte, unterschriftslos gültige Dokumente sind ein Paradox und nicht vorstellbar.)

Mag auch sein, dass die Anschaffung eines Computers die finanziellen Möglichkeiten mancher Familien deutlich übersteigt.

Mag auch einfach sein, dass der Fragende mal nur hineinschauen und ein kleines Souvenir vom Büro des Ausländers mitnehmen wollte.

Die jetzt veröffentlichten Zahlen zur Internetnutzung im Irkutsker Gebiet legen den Schluss sehr nahe, dass Internetnutzung für den Großteil der Bevölkerung schlicht zu teuer und unattraktiv ist. Zumal es hier immer noch ein neues Medium ist, das durchaus umfangreicher beworben werden muss. Die Statistik zum Internet in Irkutsk weisen die Region als eine der schwach entwickelten Regionen im russischen Durchschnitt aus. Von den insgesamt 2,5Mio Einwohnern des Irkutsker Gebietes nutzen deutlich weniger als die Hälfte, 1,08Mio, überhaupt das Internet. Zum Vergleich die Internetnutzung in Deutschland 2009: 67,1%.

Bemerkenswert für den Irkutsker Raum sind dabei eine ganze Reihe von Punkten: Nicht nur ist die Nutzung von mobilem Internetzugang über Telefon oder USBstick im Gegensatz zu Kabelanschluss zu Hause überproportional hoch (926.000 : 154.000). Jeder Mobilfunkanbieter hat gleichzeitig Internettarife und entsprechende USBsticks im Angebot, die einfach zu bedienen sind und zuverlässig funktionieren – allerdings teuer in der Nutzung sind.

Gleichzeitig gibt es eine Vielzahl von Internetanbietern (im Artikel sind 10 regionale aufgeführt, die überregionalen kommen noch dazu), unter denen offenkundig deutlich zu wenig marktwirtschaftliche Konkurrenz existiert, um ein verbraucherfreundliches Angebot für mehr Heimanschlüsse zu gewährleisten. So nutzen nur die Hälfte aller Internetnutzer die höheren, schnelleren Tarife, ein Viertel nutzen den jeweils niedrigsten Tarif (56k-Qualität und darunter) und 20% klagen über Verbindungsstörungen. In den „besserverdienenden“ Gegenden haben gerade einmal 30% der Einwohner einem Heimanschluss, ansonsten ganze 10%. Zum Vergleich das eine Zeitzone bzw 1000km westlich gelegene Krasnojarsk: dort ist ein Internetanschluss deutlich günstiger zu haben und wesentlich zuverlässiger, im Ergebnis surfen immerhin schon 50% der Einwohner von zu Hause.

Gründe für diese Situation, die spätestens seit Medwedjews Rede an die Nation als problematisch wahrgenommen wird, liegen an der völligen Zersplitterung des Internetmarktes. Allein das Stadtgebiet Irkutsk wird nur partiell von einigen Anbietern versorgt, selbst im Stadtzentrum ist es möglich, dass nur ein einziger Provider eine Verbindungseinrichtung anbietet, weil es anderen unmöglich ist, eine stabile, schnelle Verbindung zu gewährleisten. Eigene Erfahrungen bestätigen das. Ursache sind oftmals die hoffnungslos veraltete Infrastruktur, etwa noch aus sowjetischer Zeit stammende Telefonkabel, über die mehrheitlich der Webzugang geschaltet wird und die damit hoffnungslos überfordert sind. Im Ergebnis bleiben deutlich zu hohe Preise (die im Laufe der vergangenen 12 Monate gesunken sind) bei tendenziell schlechter Qualität. Im Moment zahlen wir für eine Flatrate mit Übertragungsrate deutlich unter DSL-Geschwindigkeit (bis 1024 Kb/s) 25 Euro pro Monat. Moskauer Tarife sehen da schon etwas europäischer aus.

Ausweg: die noch teureren mobilen Tarife. Oder das gute alte geduldige Papier. Oder Funkstille.

Fernost/Grenzenlos/Transsib

3336 Kilometer Zugfahrt

Posted by Sascha Preiß on

Von Chabarowsk nach Irkutsk, 14. April, 10.45 Uhr – 16. April, 17.30 Uhr, 2009. Zweieinhalb Tage im Zug, drei Zeitzonen auf dem russischen Globus. Ich habe aus 342 Fotos 62 Bilder ausgewählt, von denen ich noch einmal die Hälfte aussortiere. Wieviel Foto verträgt dieser Eintrag? Es bleiben übrig: die Landschaft da draußen, drei Blicke durchs Glas.

I
Chabarowsk – das Jüdische autonome Gebiet um Birobidjan – Skovorodino

Der Zug taucht sofort nach Verlassen der Hauptstadt des Fernen Ostens unter der Sonne hindurch, es beginnt zu schneien. Bis zum Ende des Tages. Bis wir uns sinnlos teuer im Zugrestaurant Essen bestellen. Bis wir einschlafen und sich der Waggon vollständig geleert hat. Bis zum nächsten Morgen.

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II
Mogocha – Region Chita

Eigentlich beschäftige ich mich nicht mit Fotografie. Plötzlich habe ich 3 Apparate zur Verfügung (zwei haben wir sowieso, einen habe ich noch in Vladivostok gekauft). Plötzlich erscheint jeder Blick aus dem Fenster erhaltenswert, museal wertvoll. Unendliche Landschaft, gelb und grau, kalt und leer. Der Norden Asiens ist das absolute Gegenbild zum warmen, vielbevölkerten Süden. Hier muss man stundenlang in die Grasweiten schauen – nirgendwo eine Siedlung. Hin und wieder ein einsamer Streckenposten. Eine Meditation. Der langsame Wandel der Landschaft. Fotos, vom Fensterschmutz getrübt. Manchmal brennt die Weite da draußen.

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III
Ulan-Ude – Baikal – Irkutsk

Und dann, nach mongolischer Steppe, der Selenga, dann ist er da: der See. Gefroren, blendend, ungeheuer. Die Fahrt um das Südende dauert 3 Stunden. Die Zugbegleiterin lächelt über meine Ungeduld. Sie putzt den Waggon. Täglich, um die Mittagszeit. Ihre Kollegin schläft, sie ist nachts zuständig. Ein junger Holländer glaubt, nicht nur zum putzen. Ich schaue aus dem Fenster. Nach dem See beginnt die Unruhe: Das Zuhause nähert sich. 55 Stunden sind keine Zeit.

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