Wahlperspektiven

Aufgrund der Vergiftung Navalnyis und seinem vorherigen Einsatz zur Stimmabgabe bei den derzeit anstehenden Regional- bzw Gouverneurswahlen in Russland ist diese Wahl verstärkt in den Fokus deutscher Medien gerückt. Die Süddeutsche Zeitung hat heute sogar eine kurze Reportage aus dem „protestbereiten“ Irkutsk, nach den Vorfällen und Protesten in verschiedenen Regionen Sibiriens – Chabarowsk, Novosibirsk, Omsk – erhält das russische Hinterland etwas mehr Aufmerksamkeit, auch zur Veranschaulichung der Funktionsweise des „Systems Putin“. In Irkutsk gibt es vor allem den Kandidaten der Putinschen Einheitspartei „Einiges Russland“ und einen regionalen Kandidaten der Kommunisten.

Zur Dämpfung der europäischen Erwartungshaltung, dass diese Wahlen einen innerrussischen politischen Wandel einläuten könnten, möchte ich nur kurz an die Geschichte des vormaligen Bürgermeisters Viktor Kondraschow erinnern. Dieser setzte sich im März 2010 als regionaler Kommunist gegen einen in Moskau vorgeschlagenen Kandidaten von „ER“ durch – um drei Monate später seinen Parteiwechsel zu „ER“ anzukündigen bzw als „zum Wohle der Stadt“ zu begründen. Der Irkutsker Parteivorsitzende der Kommunisten Sergej Levchenko vermutete sowohl politischen als auch finanziellen Druck bzw Anreize zur Vorbereitung auf die ein Jahr später folgende 350-Jahrfeier der Stadt, 5 Milliarden Rubel zusätzliche Finanzförderung seien versprochen worden, sollte Kondraschow mit „ER“ „zusammenarbeiten“ – dies war wohl ein recht typischer Fall russischer Korruption, Machtausübung und nachträgliche Wahlmanipulation. Ein Fall wie einige andere, über den Navalnyi im Vorfeld der Wahlen und auch sonst wiederholt berichtete. Sollte also der Kommunist bei der Gouverneuswahl heute tatsächlich gewinnen, ist der Wahlausgang keineswegs endgültig entschieden.

Kondraschow übrigens wurde nach seiner Zeit als Bürgermeister nicht nur stellvertretender Vorsitzender der Regionalregierung des Irkutsker Gebietes, sondern auch als solcher Gegenstand eines Ermittlungsverfahrens wegen Amtsmissbrauchs und Korruption. Was ihn nicht daran hinderte, 2019 Generaldirektor der Entwicklungsgesellschaft des Irkutsker Gebietes zu werden und damit de facto das regionale Vermögen insbesondere von Immobilien und Grundbesitz zu verwalten. Es dürfte daher von politischem Interesse sein zu beobachten, in welche Richtung das Ermittlungsverfahren ausschlägt, um zu sehen, wer die Wahl tatsächlich gewonnen hat.

NACHTRAG: Der „unabhängige“ Kandidat aus Moskau hat nach Angabe des Wahlkommitees die Wahl mit absoluter Mehrheit gewonnen, einen zweiten Wahlgang wird es nicht mehr benötigen. Hier eine Reportage zur Wahl in Irkutsk aus der Новая Газета.


Sascha Preiß

http://www.pselbst.de

siehe http://www.pselbst.de/irkutsk/uber-mich/

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