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Irkutsk/Wildbahn

In der Zoogalerie

Posted by Sascha Preiß on

Letzten Sommer war Lili dann erstmals im Irkutsker Zoo. Weil es dort ziemlich eng ist, die Tiere in minimalen Gehegezellen leben und die Sonne ihr übriges tat, nennt sie diesen Ort seither nur noch „Stinkerzoo“. Was sie keineswegs daran hinderte, mir ebenfalls einen Besuch abzutrotzen. Mehrere Jahre habe ich mich erfolgreich vor einem Besuch gedrückt, nach dem Bericht vom vergangenen Sommer fiel mein Interesse daran noch weiter – jetzt fiel mir keine Ausrede mehr ein und ich habe es also hinter mich gebracht.

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Zoologische Gärten sind in den meisten Fällen wissenschaftlich begleitete Parkanlagen, oft mit einer recht interessanten zoohistorischen und auch architektonischen Geschichte. Der älteste Zoo Sibiriens wurde 1933 in Nowosibirsk begründet und beherbergt heute auf einer Fläche von 60 ha über 10.000 Tiere von über 700 Arten. Der Park ist so populär, dass er bei einer Internet-Abstimmung über die 10 interessantesten touristischen Attraktionen Russlands für den sibirischen Raum derzeit den 3. Platz belegt (nach dem Baikal-See und einem Denkmal für Hausschuhe in Tomsk).

Nun, der Irkutsker Zoo ist ein bisschen kleiner und entspricht nicht ganz den Anforderungen eines Parks, weshalb er offiziell nur „Zoogalerie“ genannt wird. Diese Galerie befindet sich neben dem Puppentheater am Eingang zum ehemaligen Erholungspark, einem derzeit etwas ungepflegten Gelände oberhalb des Stadtzentrums. Ein erster Zoo wurde 1989 eröffnet, das war eine kleine fahrende Galerie, die Irkutsker Zoologen organisiert hatten und 1995 aus finanziellen Gründen die Arbeit einstellen musste. Die Tiere verblieben im Besitz des Irkutsker Gebietsmuseum, und das Ehepaar Vadim und Ljudmila Ivushkin versuchten, einen neuen Zoo aufzubauen. Mit Hilfe einer Soros-Stiftung konnten die Tiere und ein Pavillon mit 70m² im ehemaligen Erholungspark erworben werden. Die heutige Galerie eröffnete im Juni 2005 und beherbergt derzeit auf 400m² Tiere aus 200 Arten. Die meisten Tiere sind aus anderen russischen Regionen (Vladivostok, Krasnojarsk, Krasnodar) durch Aufgabe oder Umgestaltung von Zoogärten nach Irkutsk gebracht, oft in schlechtem Zustand. Tiere gefährdeter Arten werden allerdings nicht aufgenommen, weil die Möglichkeiten für Unterbringung und Pflege nicht gegeben sind. Da der Zoo als private Einrichtung keine öffentliche Förderung erhält, finanziert er sich ausschließlich aus Eintrittsgeldern und dem Verkauf von Luftballons, Spielzeug u.ä. Die Haltung und Versorgung der Tiere ist daher auch nichts für Tierliebhaber und Tierschützer. Die Gehege sind allesamt zu klein und keineswegs artgerecht. Ein Braunbär etwa lebt auf einem ca. 5m² kleinen Areal, an seinem Gehege ist ein Hinweis angebracht, dass man ihn jederzeit füttern kann und er besonders Brötchen mag. Die kleinen Vogelkäfige sind vollkommen zugekotet und mit zu vielen Tieren belegt; die meisten Wasserbecken für Schildkröten, drei Varane oder ein Krokodil sind ziemlich dreckig; die Tiere haben in den Käfigen keine Möglichkeit des Rückzugs und sind stets den Betrachtern und den an die Scheiben klopfenden Kinder- und Erwachsenenhänden ausgesetzt – wie Bilder in einer Galerie. Der Eintritt kostet 250,- Rubel (6,20 €), fotografieren, auch mit Blitzlicht, ist für weitere 50,- Rubel (1,20 €) gestattet.

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Es ist sicherlich ein Verdienst des Paares Ivushkin, sich der verlassenen, kranken Tiere aus Irkutsk oder anderen Regionen anzunehmen und diese pflegend zu versorgen. Leider ist der Zustand ihrer Einrichtung, die von Kindern und manchen Erwachsenen als Attraktion verstanden wird, ziemlich bedauerlich und ein Fall für den WWF. Denn mehrere Bären und Wölfe, einen Löwen, einen Leoparden, einen Luchs, ein mongolisches Yak, ein Emu, mehrere Geier, Falken, Kraniche, Affen usw auf 400m² unterzubringen, ist eine ziemliche Qual. Immerhin wurde vergangenen Juni verkündet, dass der Bürgermeister eine Kommission zur Entwicklung des Zooparks einberufen hat und nach einem geeigneten Gelände von mindestens 12-15 ha, erweiterbar auf 30 ha, sucht. Was aus diesen Plänen inzwischen geworden ist, ist allerdings – wie gewöhnlich – unbekannt.

Irkutsk/Ulica

Über den Humor von Stadtplanern

Posted by Sascha Preiß on

Die nachfolgend vorgestellte Straße befindet sich mitten im Stadtzentrum von Irkutsk, unweit des Zentralmarktes, der Oper und der Kreuzerhöhungskirche. Und vor allem in historisch wahrem, asphaltfreiem Zustand. Trekking-Begeisterten und Freunden individueller Stadterkundungen abseits der Mainstream-Sehenswürdigkeiten soll dieses Kleinod wärmstens ans Herz gelegt sein. Denn gerade zur Zeit des sibirischen Tauwetters, aber auch im feuchten Herbst, entwickelt dieser Ort erst seinen eigentlichen, besonderen Charme.

Man beginne die Tour am Fuße der Straße bei den offenen Müllcontainern, um die herum Wind, Hunde und unkontrollierte Wurfleistungen allerlei Reste auf die Straße verteilt haben (Bild 1). Dann arbeite man sich durch die Schlucht die leichte Anhöhe hinauf, weniger experimentierfreudige Wanderer können auf die gebrechliche Holztreppe links daneben zurückgreifen (Bilder 2, 3). Ist man oben auf dem Plateau angekommen, sieht man sich unweigerlich der Herausforderung ausgesetzt, sich einen Weg durch die Fahrspuren zu bahnen – es ist dies eine authentische und ungekünstelte Begegnung mit der sibirischen Stadt von vor ca. 150 Jahren (Bilder 4, 5). Der Weg endet am Aufeinandertreffen der nun absolvierten Straße mit einer halbasphaltierten Querung – genau da, wo erneut Müllcontainer platziert wurden (Bild 6). Man sollte an dieser Stelle innehalten: der Anblick der Fußbekleidung wird unvergesslich bleiben.

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Der Name dieser Straße darf bei all dem nicht vergessen werden: ulica Grjasnowa, die Grjasnow-Straße. Grjasnow ist der Familienname einer in der Straßenbeschilderung nicht näher bezeichneten russischen Persönlichkeit; der Nachname wiederum leitet sich vom durchaus treffenden Adjektiv „schmutzig“ ab. Manche Stadtplaner verwirklichen auf diese Weise offenkundig ihre Anfälle von Humor.

(Fotos: Jenny.)