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Baikal/Grenzenlos/Russland

Baikalwasser

Posted by Sascha Preiß on

Ich wollte eben irgendwas tun, ganz konkret, praktisch, weil ich ein praktischer Mensch bin, da kam mir die Verteilung in den Sinn, von oben nach unten, geografisch gesehen, räumlich, ganz konkret und praktisch, wo doch die Ressourcen so dermaßen ungerecht eingerichtet sind, nicht wahr, dass einem die Tränen kommen, dass man sie gar nicht mehr zurückhalten kann, nicht wahr, wenn man ein ehrlich empfindsamer Mensch ist, nicht gleichgültig dem harten Schicksal gegenüber, das man da unten erdulden muss, wegen dem sich die Leute dort seit beinah ewig ans Kreuz nageln, und das ist doch bedauernswert, da kann man doch gar nicht still sitzen und sein Wässerchen genießen, geweiht oder nicht, auch und schon gar nicht in unseren trockenen, ungläubigen, verwilderten, kontinentalen Breiten, Tiefen oder Höhen, wie Sie wollen. Und wenn jemand Durst hat, da muss man doch helfen, dachte ich mir, wenn dort quasi alles übern Jordan geht und die Meere schon seit Ewigkeiten tot sind und immer toter werden, jeden Tag ein paar Tote mehr, dann kann man eben nicht nein sagen, dann darf man nicht hartherzig und erbarmungslos sein, denn die zahlen ja auch prächtig, und ein jeden rührt das zu tiefst in der Seele, denn wo ein Mitgefühl, da auch ein Verdienst. Das war doch die größte Idee überhaupt, seit Jelzin sich zu Tode gesoffen hat, dass war einfach unsere Natur in Form von Wladimir, dem Dicken, eine selbstzufriedene Frohnatur, die überquillt vor theatraler, clownesker Energie, weil sie sprudelt, wie sie nur im TV kann, und manchmal sagen auch fette Männer in verschwitzten Hemden lustige Sachen, und das rechne ich ihm hoch an, dass er am nächsten Tag schon vergessen hätte, wovon er sprach, wenns nicht die Zeitungen aufgeschrieben hätten, und so floss eins ins andere, denn ich mochte diese Sache, also sagte ich: Ey, Wladimir!, und er sagte: Mensch, dawaj!, und so schütteten wir einfach unsere wilde, rauhe, endlose und beinah unberührte Natur – vergessen Sie so Popelkram wie Zellulose – dort in die Wüste, auf dass denen dort noch mal richtig was blühe, denn seien Sie ehrlich zu sich selbst, sagte der Dicke energisch: Unser Land hat nichts, was es anbieten könnte der Welt, außer seine Natur, und jetzt lassen wir mal den ganzen Mumpitz von wegen Öl und Gas und Holz und wiedergeborenen prähistorischen Blümchen weg, sondern konzentrieren wir uns auf das Wesentliche, ohne das das Leben ja einfach unmöglich ist, und da fließt nun mal seit Jahrtausenden der Rubel hektoliterweise ungenutzt durch unsere riesigen, menschenleeren, entvölkerten und seelenlosen Gegenden, wo es keiner braucht, während woanders die Leute ihr schönes Geld für Gewehre und so Sachen rausschmeißen, wovon sie täglich noch untoter werden als die versalzenen Meere und vertrocknenden Flüsse, aus denen sie leider schlürfen müssen, das muss man sich mal vorstellen: tiefste russische Lebensfreude, reinste Seele, klar und kalt, an überhitzte Mittelmeergemüter ohne Vorhaut, für 4 Dollar die 0,33l-Flasche! Damit hat man sich dann ne heilige Nase am See verdient.

Und die konnten wir dann in die Luft halten und das Aroma genießen. Obwohl: Unsere Luft ist so trocken, so staubig und so ohne Feuchtigkeit, verwüstet regelrecht, und die Schornsteine in der Stadt tun ihr Übriges, da fühlt man sich meist wie ein geräucherter Omul, den man sich auf der Zunge zergehen lassen sollte, solange es noch welche gibt, aber wir haben hier von allem dermaßen viel, eigentlich, da können die da unten nur von träumen, wenn sie tot sind. Hier sind Robben und Fische und Angler ohne Lateinkenntnisse und durchs Eis eingebrochene Fahrzeuge und verkrüppelte Kiefern und jede Menge Mülldeponien in freier Wildbahn, weil Platz, so viel Platz, dass wir für unsere Anlage gar nicht wussten, wo bauen, weil alles frei, keinen störts, und das ist ja quasi paradiesisch, aber wie anders doch in Jerusalem, komplementäre Welten, weil es da ringsum hauptsächlich Probleme mit dem Bauen und dem Platz gibt, was wir ja für uns wahrlich nicht behaupten können, hier ist ja alles viel zu groß, viel zu breit, viel zu viel und sowieso unendlich, entgrenzt, quasi irre, dass ein einzelner Mann das gar nicht erfassen könnte, weshalb unsere Firma auch von mehreren Leuten geleitet wird. Schauen Sie unseren See, er ist ein Wunder, ein Mirakel, ein Menetekel, voller Schekel, ein Brunnen und Quell reinster Freude, bzw eigentlich, recht und halbwegs nüchtern besehen, ein Unding von einem See, niemand weiß so recht, wieso der sich ausgerechnet hier, wo sowieso noch nie, jedenfalls nicht in prähistorischer Perspektive, etwas war und wahrscheinlich auch so bald nichts wirklich sein wird, denn der See bricht mit der kümmerlichen Geschwindigkeit von allerhöchsten 2cm pro Jahr auseinander und wird wohl auch ein bisschen tiefer dabei, man weiß es nicht, also auf die Jahre hochgerechnet haben wir in 50 Jahren gerademal einen einzigen Meter Ost-West-Ausdehnung hinter uns gebracht, wobei die Ufer an der breitesten Stelle nicht ganz 40km auseinander liegen, wofür sie also ungefähr 50x1000x40 = 2 Millionen Jahre gebraucht haben müssen, die gleiche Geschwindigkeit von Anfang an vorausgesetzt, Pi mal Daumen. Und nur ein Mal, ein einziges klitzekleines Mälchen hat man daran herumgebastelt, und prompt ging Alexanders zaristische Eisenbahn zur Hälfte baden. Aber als wir das Wasser wieder abpumpten und verschifften, konnte sie ja wieder auftauchen, das war wie einen Schatz heben, wie präparierte Amphoren für ehemalige Präsidenten im Tauchgang, super Aktion das, aber konnte man ahnen, dass so bald sich alles auflöst und weggespült wird, was bis dahin als Stabilität und Entwicklung ins Land gemeißelt wurde?

Ja man konnte, also sagen wir uns: Der ganze Baikal, der hier rumliegt, völlig umsonst, und die Leute tun nichts anderes, als sich das nur anzuschauen und kommen extra hierher, um romantisch zu werden, als sei es das Größte und Schönste, ist ja schließlich auch das Einzige, was es hier gibt und was man hier machen kann: Baikalspotting. Oder, hihi, nach dem Genuss von frischem Wässerchen, Baikalpissing, macht am meisten Spaß nachts, wenns schön kalt ist, nach der Banja, dann nackig rein ins Wasser und Wowa mit seiner riesen Wampe der Selbstzufriedenheit blieb am Ufer stehen, entblößte seinen ungeheuren, im Mondlicht bedrohlich farblos schimmernden Leib, in dessen unterer Mitte ein schnuckelig kleines Pimmelchen baumelte, das er ergriff, und pisste so gewaltige Mengen dampfenden Urins in den arschkalten See, dass wir daran sicher ersoffen wären, wenn uns Wowas viehisches Gelächter nicht gerettet hätte, und danach mussten wir uns selbstverständlich mit guten, sündhaft teurem Wässerchen reinigen, ist doch einleuchtend. Aber weil das natürlich wenig Zukunft zur Folge hat, zumindest keine rosige, muss man eingreifen, handeln, vor allem handeln, einen Markt schaffen, also logische Folge: verkaufen, alles, radikal und ratzekahl, in 300 Jahren spätestens sollte alles weg sein, wahrscheinlich, so lange noch mussten die Leute hier auf ihre Zukunft trinken, bevor sie endlich losgehen könnte, mit den vielen schönen Schekeln, die uns die durstigen Israelis dafür in unseren Rachen schmeißen würden. So fing es damals an, getan fast eh’s gedacht, und schwupps, schon stand die Anlage an der Angara und der Fluss wurde abgezapft und in schönstes Plastik verpfropft und die ersten Ladungen wurden verfrachtet. Da war nicht mehr viel Zeit, sie drängte, die allgemeine Stimmung im Land war so komisch, so ohne Humor und Wässerchen, dass man ahnte, es geht vielleicht doch nicht mehr so lange, wie der See den Bach runterfließt, also nehmen wir uns noch schnell, was uns gehören soll, bevor einer kommt, der meint, er müsse jetzt selbst hier nach Gold tauchen.

Aber so ist das dann, irgendwann ist man nur noch von Flaschen umgeben und nachher nur noch von Kalashnikows, und bald sieht man kein Wasser mehr und vom Land nur noch kleine Ausschnitte hinter hohen Mauern, weil irgendeiner pisst dir immer ins Glas und hatte bessere Verbindungen. So werden dann die folgenden 300 Jahre auch zugebracht sein. Nehmen Sie doch ein Glas, auf die Freundschaft und den Weltfrieden!