Mit dem Bus durch die Stadt

Nach dem hochverdienten Sieg der Sbornaja gegen die Auswahl Tschechiens gestern Nacht sah man sehr vereinzelt Autos begeistert hupend und fahnenschwenkend durch die Stadt fahren. Die EM 2012 wird, wie auch alle vorherigen Europameisterschaften und die meisten Weltmeisterschaften, in Irkutsk zwar wahrgenommen – es gibt tatsächlich Cafés und Kneipen, die wenigstens die russischen Spiele live ab 03.45 Uhr zeigen -, aber Fußball ist in Sibirien kein Sport, der die Leute von den Sitzen bzw aus den Betten reißt, selbst wenn es um die Nationalmannschaft geht. Zumal die ja zu einem Drittel aus Spielern von Zenit St. Petersburg besteht (was die tageszeitung in eine sehr hübsche Titelzeile umsetzte).

Statt also patriotische Trikolores an den irkutsker Autos kann man seit inzwischen einem Monat ein ganz anderes Gefährt patriotischer Prägung durch die Stadt fahren sehen: den Stalinobus.

Busaufschrift: "Ich möchte das Glas erheben auf die Gesundheit des sowjetischen Volkes, vor allem auf die des russischen Volkes." Marschall J. Stalin beim Empfang im Kreml am 24. Mai 1945

Der Bus in all seiner Pracht bezieht sich selbstverständlich auf den Großen vaterländischen Krieg und den Tag des Sieges der Sowjetarmee über das nationalsozialistische Deutschland. Die Würdigung für diesen außerordentlich verlustreich erarbeiteten Sieg erfährt ausschließlich der verkitschte Oberbefehlshaber der Roten Armee, während die offiziellen Feierlichkeiten allgemein das russische Volk und die Verdienste der Rote Armee (Veteranen) ehren. Irgendwelche „Verfehlungen“ des Diktators (brutale Kollektivierung der Landwirtschaft, rücksichtslose Industrialisierung, Massenterror und GULag) bleiben ausgeblendet für den Glanz des Sieges. Stalin als „problematische Figur“ der russischen Geschichte spielt im offiziellen Gedenken (und bislang auch im öffentlichen Raum) keine Rolle. Indes: Er wird offenkundig wieder salonfähig.

Der Bus bzw das käufliche Busdesign fährt seit 2010 durch Russland. Initiiert von einigen Enthusiasten aus St. Petersburg – hoffentlich nicht aus dem Umkreis von Zenit -, kann man für jede beliebige Stadt und beinah jeden beliebigen Bustyp die Plakatierung erwerben. Der „Bus des Sieges“ ist recht modern im Internet breit aufgestellt: via Facebook, Twitter, vKontakte und diverse Blogs wird die Existenz des Busses russlandweit dokumentiert. Allerdings ist die Beliebtheit dieses Werbeprojekts in Sachen russischer Geschichtsrevanchismus derzeit nicht überzubewerten: Gerade einmal 65 Twitter-Follower, 104 „Gefällt-mir“-Bekenntnisse bei Facebook und 651 vKontakte-Mitglieder (dem innerrussischen Facebook-Klon) lassen momentan keine Massenbewegung vermuten. Und durchaus gibt es neben erwartbaren Verherrlichungen des „Generalissimus“ (Frau Afanassjewa etwa meint, dass „mit diesem Namen die ruhmreichste Epoche unserer Geschichte“ verbunden sei) auch Kritik an der Aktion (Herr Stomachin nennt die Initiatoren „stalinischen, rotfaschistischen Abschaum“). Dennoch ist gegenwärtig eine zunehmende Positivdeutung Stalins zu beobachten. Auch die Kommunistische Partei wirbt seit den Präsidentschaftswahlen ganz offen mit ihm, auf der Startseite des Webauftritts ist das nach Stalin benannte „Antikorruptionskomittee“ verlinkt. Mit entsprechender Härte sollen dort die Verfehlungen der gegenwärtigen politischen Elite Russlands aufgedeckt und, vielleicht, verfolgt werden: Ziel kann nur ein (stalinistisch) sauberes Russland sein.

Auch hier gibt es von keiner Seite hörbaren Protest. Wie auch: Gefragt, wer Stalin denn so war und was er so gemacht hat, wird man z.B. von Schülern und Studierenden nicht allzu viel in Erfahrung bringen. Weshalb es da auch nicht weiter ins Gewicht fällt, dass etwa zu Beginn einer russlandweiten Schüler-Olympiade für Fremdsprachen die russische Hymne gespielt wird und diese mit einem Film zur russischen Geschichte bebildert ist, in dem von Lenin bis Putin/Medwedjew sämtliche Staatschefs bzw Präsidenten der Sowjetunion und Russlands in einer völlig selbstverständlichen Ahnengalerie zu sehen sind. Kontinuität und Fortschritt, oder auch Stabilität und Entwicklung (Wahlslogan von Einiges Russland) – eine Programmatik, die mit einem positiv-patriotischen, kritiklosen Bezug zur Sowjetunion ihre eigene Bedeutung erhält.

Für den Busfahrer ist es nichts weiter als ein Arbeitsplatz. Wohin die Reise geht und wie lange er noch das jahrelang aus der Öffentlichkeit verschwundene, aber liebevoll geheiligte Potentatenabbild durch die Stadt fahren muss, ist ihm unbekannt. Meine Befürchtung: Weit über die Dauer der EM hinaus, mag die (St. Petersburger) Sbornaja noch so eindrucksvoll auftreten – der (St. Petersburger, aber auch Moskauer) Umgang mit Stalin wird sich wohl als deutlich zählebiger erweisen. Perspektivisch die Einschätzung von Stefan Creuzberger: „Stalin symbolisiert den Aufstieg der UdSSR zur Welt- und Supermacht – ein Status, den […] die gegenwärtige Führung in Moskau wieder zurückerlangen möchte.“ (Sehr anregend der Aufsatz „Stalinismus und Erinnerungskultur“. In: APuZ 49-50/2011, S. 42-47, ebenso die Bücher „Stalin. Machtpolitiker und Ideologe“ (Creuzberger), „Der rote Terror. Die Geschichte des Stalinismus“ (Jörg Baberowski) und „Verbrannte Erde. Stalins Herrschaft der Gewalt“ (Baberowski).)


Sascha Preiß

http://www.pselbst.de

siehe http://www.pselbst.de/irkutsk/uber-mich/

Comment ( 1 )

  1. gesichter des imperiums oder die russische kultur interessiert mich einen scheißdreck – t . x . t

    […] die möglichkeiten des lebens die institutionen eines gekränkten ehemaligen imperiums in dem die busse mit stalins konterfei umherfuhren und mitbestimmung nur als bittgesuch und ausgewählten zuverlässigen leuten zuerkannt […]

Kommentar verfassen