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Das Wetter/Irkutsk/Russland

Frohe Weihnachten!

Posted by Sascha Preiß on

Heute, da die russlandweiten Anti-Wahl-Proteste einen weiteren Höhepunkt erreicht haben, fiel nun also den sechsten Tag in Folge in Irkutsk Schnee und die für den örtlichen Demonstrationsplatz am Station „Trud“ angekündigten Proteste so gut wie aus. Es kamen offenbar so wenige, dass selbst die Berichterstattung nicht mehr lohnt. Andererseits hatte ja vor einer Woche der Bürgermeister selbst sein ganzes politisches Gewicht in den Ring geworfen, als er nach Putins 4,5stündiger TV-Fragestunde (bzw moderierte Monologe) ebenfalls zu der Behauptung griff, die Proteste gegen die Wahl in Irkutsk seien von „ausländischen Sonderdiensten“ finanziert und sowieso gegenstandslos, weil ja in Irkutsk nicht wirklich etwas zu beanstanden sei: Also werde er, Viktor Kondraschow, ab sofort mit einem weißen Helm gegen die „Weißen Bänder“ (die Putin als Kondome verhöhnt hatte) vorgehen.

Wie auch immer Putin (von Medwedjew hat in den vergangenen Monaten in Russland niemand mehr gesprochen, obwohl er ja eigentlich Präsident ist, aber offenkundig derart unwichtig, dass selbst seine nett gemeinten Ansprachen unerhört vergehen) nun auf die neuerlichen Proteste reagieren wird – schaut man sich die Liste seiner Präsidentschaftsgegner an, muss man sich noch immer um seine Wiederwahl keine Sorgen machen.

Sorgen hingegen muss man sich allmählich um eine touristische Attraktion am Baikalufer machen: Der Betrieb der Baikalrundbahn könnte im kommenden Jahr mangels Geldes eingestellt werden. Noch wird die Strecke vom Südufer des Sees (Sljudjanka) zum Port Baikal regelmäßig angeboten, doch ein durchgehender Verkehr von Irkutsk und wieder zurück ist vorerst auf Eis gelegt. Bislang jedenfalls konnte man für alles, was schief zu gehen drohte, nach Putin rufen, und wenn er kam, wurde alles irgendwie gut. Ob das auch im kommenden Jahr so bleibt, ist ungewiss.

Und apropos: Es ist, wie eingangs erwähnt, Winter und ein ganz wunderbarer dazu, vielleicht auch deshalb, weil die winterliche Idylle so gar nicht zur politischen Situation passen will.

Allen LeserInnen des Irkutskblogs wünsche ich ein fröhliches Weihnachtsfest, с рождеством!

Liljana

Märchen zum Advent: Der traurige Junikäfer

Posted by Sascha Preiß on

Am Abend saß der Junikäfer auf einem Stein und war traurig. So ganz genau wusste er auch nicht warum, aber dass er es war, das wusste er. Und je mehr er es wusste, umso trauriger wurde er.
Och, seufzte er, traurig sein macht keinen Spaß.
Und recht hatte er auch noch.
Also schaute er in den dunkler werdenden Abend und seufzte ausführlich.
Kam ein Falter vorüber geflogen und besah sich den Junikäfer, wie er mit hängenden Fühlern herum saß.
Mensch, Käferchen, rief der Falter, dir scheint ja eine große Laus über die Flügel gelaufen zu sein.
Ach, meinte der Käfer, sag lieber nichts.
Hm, machte der Falter. Was hältst du von einer schönen warmen Umarmung mit meinen Flügeln? Wenns mir mal nicht so geht, weil mich fast wieder so ein Vogel geschnappt hätte, muss ich immer erstmal schön kuscheln und jemanden zum Anschmiegen haben, eh es weitergehen kann.
Und der Falter schlang seine Flügel um den Käfer. Aber der war einfach nicht in Stimmung.
He, du knickst meine Fühler, lass mich los.
Der Falter flog schnellstens davon, so ein hübsches Tierchen und so mürrisch! Und er pfiff sich ein Liedchen.
Der Junikäfer lauschte dem Falter nach, und als alles wieder still war, seufzte er aus tiefster Traurigkeit.
Was hast du denn, kam ein Glühwürmchen den Stein hinaufgekrabbelt.
Weiß nicht, brummte der Käfer, bin traurig.
Macht nichts, sagte das Würmchen, lass uns spielen, meine vierzighundertneunundelfzig Verwandten sind hier um die Ecke, wir könnten noch wen beim Verstecken gebrauchen!
Wie wärs, antwortete der Käfer, wenn du dich einfach vor mir versteckst?
Oh, prima Idee, leuchtete das Würmchen aufgeregt, kleiner Tip: ich bin irgendwo da hinten, ok?
Ja, machte der Käfer, ganz weit da hinten, sehr gut.
Das Glühwürmchen schwirrte davon und der Junikäfer wurde beinah fröhlicher, aber nur beinah. Als er sah, dass es wieder ganz dunkel war, musste er unweigerlich aus ganzem Herzen seufzen.
Da hörte er über sich ein Flüstern.
He, kleiner trauriger Käfer, komm doch mal zu mir hoch.
Der Junikäfer schaute verwundert nach oben und sah eine dicke Raupe, die von einem Ast herunterhing. Was soll ich denn bei dir da oben, fragte er entmutigt.
Ach weißt du, sagte die Raupe, wenn mir alles zu viel wird und der ganze Kram von wegen fressen und täglich immer dicker werden und sich kaum bewegen können und so, wenn das einfach keinen Spaß mehr macht, dann häng ich mich hier hin und lass mich baumeln. Man sagt, dass nach einer kurzen Weile ein ganz neues Leben beginnt!
So, sagt man, meinte der Käfer.
Jaja, bestätigte die Raupe, also los, komm, häng dich auch ans Blatt!
Ach, sagte der Käfer, ich hänge hier schon genug durch.
Na wie du willst, sagte die Raupe und zog sich in sich selbst zurück.
Dann wurde es wieder ganz still um den traurigen Junikäfer. Er blickte die ganze Nacht in den Sternenhimmel, aber er wurde einfach nicht munterer. Schließlich wurden die Sterne immer blasser und blasser.
Und plötzlich grinste hinter den Bergen die Sonne hervor.
Ha!, rief da der Junikäfer mit einem breiten Lächeln, genau darauf hab ich gewartet! Und schon surrte er purzelbäumend jubelnd auf sie zu.

Irkutsk/Russland/Ulica

Zwischen den Wahlen

Posted by Sascha Preiß on

Die Wahlen zur russischen Duma liegen zehn Tage zurück, an den massenhaften Protesten in Russland gegen Wahlfälschungen und Einflussnahme bei der Stimmabgabe hat sich am Samstag auch die Irkutsker Bevölkerung beteiligt, vorerst nur mit etwa 1000 Menschen. In drei Tagen ist aber eine größere Protestdemonstration angekündigt. Die Proteste verliefen absolut friedlich, obwohl ursprünglich nur 300 Menschen für den Kirow-Platz zugelassen waren und die Demonstration kurzerhand vor den Zirkus verlegt werden musste, aus Sichtweite der Gebietsverwaltung. Allerdings gibt es dennoch reichlich Unterstützer des Protests und beinah alles wird im Internet dokumentiert. Dieses bislang als unzensiert geltende Medium hat in der Tat stark an Bedeutung in Russland gewonnen und damit auch die Aufmerksamkeit der politischen Führung – Prognosen sehen eine zunehmende Überwachung voraus. Auch in Irkutsk wurden am 4.Dezember die Server der freien Wahlbeobachter von „Golos“ blockiert (Meldung um 17:15), inzwischen machen Meldungen über behördliche Beobachtung aller mit Irkutsk verknüpften Profile bei vkontakte und facebook die Runde.

Die Duma-Wahlen sind im Irkutsker Gebiet nicht besonders berauschend für „Einiges Russland“ ausgegangen, im gesamten Oblast erreichte ER gerade einmal knapp 35%, relativ dicht gefolgt von den Kommunisten (27,79%) und mit großem Abstand zu Schirinowskis LDPR (17,34%) und „Gerechtes Russland“ (13,36%). In Irkutsk und Angarsk lagen die Kommunisten sogar deutlich vor ER, auch wenn die gesamte Familie des ehemals kommunistischen Bürgermeisters V. Kondraschow, der nach den Bürgermeisterwahlen im März 2010 recht bald zu „Einiges Russland“ überlief, für „Stabilität“, einem Schlüsselwort im Wahlkampf von ER, stimmte. Offenkundig ist seine Popularität nicht wahlbedeutend. Ebensowenig wie die im Irkutsker Gebiet gemeldeten Verletzungen des Wahlrechts, wie „Golos“ zur Liste anmerkt.

Dennoch sind die Ängste oder Hoffnungen auf ein Abflauen des Protestes wohl unbegründet – solange Identitätsfiguren wie Alexei Navalnyj noch in Haft sitzen, wird es weiterhin Guerilla-Aktion wie die der russischen feministischen Punk-Band „Pussy Riot“ geben, die kurzerhand eine Art Konzert für die Inhaftierten an den Gefängnismauern veranstalteten. (Wobei insbesondere bei Navalnyj nicht klar ist, wo Aufklärung und nationale Verklärung beginnt: Immerhin ist er einer der Mitunterstützer des diesjährigen „Russki Marsch“ in Moskau, einer ultranationalistischen Veranstaltung. Und für den Moskauer Protest am 24.12. haben sich bereits reichlich Nationalisten angekündigt.)

Wahlplakat der Kommunisten: Zur Wahl mit (einer) Kalaschnikow

Unabhängig von der weiteren Entwicklung der Proteste und dem gegen sie gerichteten Vorgehen der Behörden – wenn es nun ganz schlecht für V.V. Putin bei den im März 2012 anstehenden Präsidentschaftswahlen läuft, könnte tatsächlich ein gegenwärtiger Irkutsker die Russische Föderation anführen: Der Gouverneur des Irkutsker Gebietes, Parteimitglied von ER und gebürtige Leningrader Dmitrij Mesentsev ist einverstanden, sich als Kandidat für das Präsidentenamt aufzustellen. Auf die Frage von Journalisten, dass er damit auch Putin selbst direkte Konkurrenz macht, antwortete er: „Für mich bleibt Vladimir Vladimirowitsch erst einmal Regierungsvorsitzender.“ Außerdem sei er kein Parteimitglied von ER – eine Haltung, die Putin und dessen Distanzierung von seiner eigenen Partei bekräftigt. Nun, wir dürfen davon ausgehen, dass man sich außerhalb des Irkutsker Gebietes und jenseits der russischen Grenzen nicht wirklich an den Namen Mesentsev wird gewöhnen müssen. Auch wenn in diesem heißen russischen Winter viel möglich scheint. (Ob der Weihnachtsmann in Russland die Kommunisten wählt?)

Auch zum Neujahrsfest sind Kalaschnikows der Knaller: Weihnachtsmann und Snegurotschka gut gerüstet in Camouflage-Mänteln

Im Übrigen: Während sich in Moskau die meisten Kinos vor der Dumawahl schlicht nicht wagten, den kontroversen Film „Chodorkovskij“ auszustrahlen, wird der Film ab Freitag für zwei Wochen im „Dom Kino“ gezeigt. Dies als Ankündigung für alle Interessenten, die noch keine Gelegenheit hatten, den Film zu sehen, mich inbegriffen.

selbst/Sprache

Lesung: Ganz ist die Ordnung noch nicht abhanden

Posted by Sascha Preiß on

Dies hat nicht unmittelbar mit Irkutsk, dem Thema dieses Blogs, zu tun. Ich möchte an dieser Stelle beginnen, einige Texte als Lesung zu veröffentlichen. Die erste Lesung dieses Textes fand heute in sehr kleinem Kreis in einem Irkutsker Restaurant statt, allerdings ist die Aufnahme nicht besonders gut. Daher habe ich die Lesung in der Küche (mit Weihnachtsplätzchen) wiederholt. Gelesen wird der Anfang eines längeren Textes, der den Titel „Durchnässte Soldaten“ trägt und in Pannonien spielt.