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Russland/Universität

Das Schloss

Posted by Sascha Preiß on

Und dann kamen wir eines Maientags zu meinem Unibüro. Meine Mitarbeiterin und ich waren etwas bepackt, hatten für eine größere Veranstaltung eingekauft. Sie steckt ihren Schlüssel ins Schloss, es lässt sich nicht öffnen. Ich stecke meinen Schlüssel ins Schloss, das gleiche Ergebnis. Auf dem Korridorboden vor der Tür Späne und die Pappschachtel eines Türschlosses. Offensichtlich ausgewechselt, ohne uns zu informieren. Ratlosigkeit, Nervosität.

Vor zwei Wochen war eine Dame bei mir im Büro, die mich zu überreden suchte, das Büro zu wechseln. Die Uni bräuchte meinen Platz für Verwaltungsdienste und es wäre zwei Etagen tiefer etwas frei, das könne ich haben. Ob denn meine Arbeit so wichtig wäre, dass ich an diesem Platz mein Büro bräuchte, das Büro da unten sei der zukünftigen Mitarbeiterin, die viel mit dem Rektor zu tun haben würde, nicht zuzumuten. Nach Besichtigung des leeren Büroraumes und Rücksprache mit meinen Kollegen lehnte ich ab. Die Dame zeigte wenig Begeisterung, sie würde darüber mit dem Rektor sprechen.

Und dann war das Schloss ausgewechselt. Die Mitarbeiterinnen des Auslandsamtes, die vor einigen Jahren den Raum eigenhändig renoviert und eingerichtet haben, sind aufgebracht. Es werden Telefonate geführt, nicht laut, aber resolut. Wir gehen von einer Diensstelle zur nächsten. Dass die Unileitung derart aggressiv ihre ausländischen Arbeitskräfte umquartiert, kann sich niemand wirklich vorstellen. Ein Einbruch scheint auch nicht stattgefunden zu haben, nach allem, was man durch den Türspalt sehen kann, ist nichts entwendet worden. Und tatsächlich stellt sich heraus, dass die universitäre Raumplanerin zu Unrecht verdächtig wurde.

Dem Wachdienst lag ein Auftrag vor, das beschädigte Schloss zum Raum I-315 zu wechseln. Offenbar sind die beschäftigten Handwerker der Uni des Lesens und Schreibens unkundig. Mein Büro trägt die Nummer E-315, was eigentlich an der Tür zu lesen ist. Während ich mein Lachen unterdrücke, eilt die stellvertretende Leiterin des Auslandsamtes durch die Gänge, das sei wirklich nicht komisch, sie müsse jetzt ein ernstes Wörtchen mit den Technikern dieses Hauses sprechen. Als sie zurückkommt, drückt sie mir die neuen Türschlüssel in die Hand und entschuldigt sich, ich könne mir kaum vorstellen, wer so alles in der Uni arbeite. Ihre minutenlange Rede kann ich mir nicht merken, sie spricht von Arbeitsmoral, Unfähigkeit und falscher Personalpolitik. Unsere russischen Männer, sagt sie abschließend und klopft intensiv auf das Holz meiner Bürotür. Was solle man von denen schon verlangen. Damit ist die Sache beendet und wir widmen uns der Arbeit.

Ästhetik/Interkultur/Liljana/selbst

Eine Geschmacksfrage

Posted by Sascha Preiß on

Zur Ausgestaltung des Kinderzimmers haben wir ein paar Regale gekauft. Wie fast alle Einrichtungshäuser in Irkutsk bietet auch die „Welt der Möbel“ mehrheitlich einheimisch produzierte Ware zum selbst Zusammenbauen für Kunden mit Geld und Jevro-Geschmack, was bedeutet: Es sollte europäisch wirken, stilvoll sein und dabei teuer aussehen. Wir suchten eher schlichtes Mobiliar und fanden zwischen den bunten Modell-Kinderzimmern zwei Regale mit farbigen Schalen anstelle von Schubfächern. Beim Aufbau zu Hause stellten wir fest, dass wir Ikea-Mobiliar gekauft hatten. In einer Stadt, von der die nächstgelegene Filiale 1600km entfernt liegt, ist das möglicherweise ein Glücksfall. Bislang war uns nur ein Händler bekannt, der einige wenige Möbelstücke von dort importiert und zu überhöhten Preisen anbietet.

Dass sich unser Geschmack, inmitten eines russischen Möbelgeschäftes, inmitten für russische Kunden konzipierten Möbeln, dann doch sehr zielstrebig und ohne echten Widerstand für Ikea-Möbel entschied, erstaunte mich. Ist es nun so, dass unser ästhetisches Empfinden in Deutschland am allgegenwärtigen Ikea-Design geschult wurde, so dass uns selbst in fremder Luft wenig anderes mehr akzeptabel erscheint? Wären wir überhaupt in der Lage gewesen, eine andere Geschmacksentscheidung zu treffen? Ist ein anderes Empfinden jetzt noch lernbar? Möglicherweise irritierte mich auch weniger die Tatsache, dass Emotionen erlernte Handlungen sind, als vielmehr, dass auch wir – sogar unbewusst – in der Fremde die uns bekannte Wohnwelt nachahmen, konservieren. Dass unsere Risikobereitschaft zur Aufnahme nicht-eigener Emotionalität nicht allzu hoch zu sein scheint.

Ist das aber wirklich problematisch?

minimal stories/Ulica

minimal story 12

Posted by Sascha Preiß on

Ich hatte den Koffer, in dem wir einige ausrangierte Kleidungsstücke aufbewahrten, mit reichlich Papierabfällen aufgefüllt und in den Müllcontainer geworfen. Aus Nostalgiegründen hatte ich vorher noch einmal die nicht mehr genutzte Kleidung durchgesehen und mich zu erinnern versucht, warum ich z.B. dieses T-Shirt, das einmal ein Geburtstagsgeschenk war, nicht mehr tragen wollte. Aus irgendwelchen Gründen passte ich nicht mehr hinein oder es zu mir. Dass es wohl immer noch ganz gut aussehen kann, wurde mir erst wieder bewusst, als der Mann mit dem Kinderwagen am Zigarettenkiosk jenes Shirt trug. Oder wenigstens sah es meinem alten verwirrend ähnlich. Der Mann lachte das Baby im Kinderwagen an. Es machte nicht den Anschein, als würde er seine Nachmittage mit dem Durchstochern von Müllcontainern verbringen. Andererseits schien er, ausgehen vom Rest seiner Kleidung, nicht allzu wohlhabend zu sein. Ich mochte mir vorstellen, dass er ein bisschen stolz und glücklich über den gut erhaltenen Fund sei und daher fröhlicher als sonst. Dabei hatte ich ihn noch nie gesehen. Ich bemerkte, dass ich ihn taxierte, wandte mich ab und lief beschämt weiter. Es war eben auch möglich, dass schlicht zweimal das gleiche Shirt in direkter Nachbarschaft existiert hatten, und mir fiel das nur in diesem seltsamen Zusammentreffen auf.

– Sie meinen, die anderen Kleidungsstücke hätten auch noch auftauchen müssen?
– Vielleicht. Aber die Container waren zwischenzeitlich geleert worden.
– Wäre die Wiederkehr etwas Anderen aus dem Koffer, ein Hemd, eine Seite aus einer deutschen Zeitung, ein Beweis gewesen?
– Nein. Auch wenn es die Vermutung wohl gestärkt hätte. Ich war froh, nichts anderes wiederzusehen.
– Warum?
– Um den Alltag nicht als Anhäufung von Verdachtsmomenten erleben zu müssen. Was interessierte mich, woher jemand seine T-Shirts hatte.

Das Wetter/Ulica

Ein Hochlicht

Posted by Sascha Preiß on

Seit dem letzten Eintrag in diesem Blog ist eine ganze Menge Zeit vergangen. Wer sich seither gefragt hat,  was alles geschehen ist, wird in Kürze einige Berichte finden, u.a. waren wir in Deutschland und sind seit wenigen Tagen wieder zurück in Irkutsk.

Viel Zeit ist auch seit der letzten Auflösung von Modern Talking vergangen, und wer sich gefragt hat, was denn nun eigentlich so der Thomas Anders macht, dann sei er morgen nach Irkutsk eingeladen, wo der in Russland für sein neuestes Album mit Platin geadelte „legendäre Musikant“ (Komsomolskaja Prawda) ein einzigartiges Konzert mit grandioser Show geben wird. Ursprünglich für den 24. Juli vorgesehen, erlebt Thomas‘ Karriere nun doch noch ein weiteres Highlight direkt vor meiner Nase, im wunderschönen „Stadion der Arbeit“.

thomasanders.jpg

Für seinen weiteren Lebensweg wünschen wir alles Gute.