Kontraterror
Vom 11. bis 25. November sind in Irkutsk, erstmals in Russland, Kriegsaufnahmen des „Argumenty i Fakty“-Fotoreporters Vladimir Svartsevich unter dem Titel „Kontraterror“ zu sehen. Die Ausstellung versammelt die Aufnahmen aus Kriegseinsatzgebieten der russischen Armee im Kaukasus, von der südossetischen Interventionen 1991 bis hin zum Schulmassaker in Beslan 2004. Zur Eröffnung am 10.11. war fast ausschließlich Militär anwesend. Svartsevich ist ebenfalls ehemaliger Soldat, der lange Zeit im Kaukasus im EInsatz war. Aus dieser Zeit stammen seine Aufnahmen.
Die Bilder sind sowohl in ihren Motiven als auch in der Aufhängung verstörend. Zu sehen sind auf einer Fotografie z.B. russische Soldaten, die nackt und fröhlich aus der Sauna kommen, während auf dem Bild daneben zu einem Fleischberg zusammengeworfene zerstückelte Leichen von „abgeknallten“ Terroristen liegen. Es ist für die Ausstellung unerheblich, ob sich beide Szenen im gleichen Jahr und Kriegsgebiet ereigneten oder weiter auseinander liegen. Die Ausstellung zielt in erster Linie auf den Schockeffekt beim Betrachter, offizielle Lesarten der kaukasischen Kriege grundsätzlich in Frage zu stellen. Jetzt, 9 Jahre nach dem offiziellen Ende des zweiten Tschetschenienkrieges und ein halbes nach Abzug eines Großteils der russischen Armee. Da die Fotos weder in chronologischer noch in sichtbar inhaltlicher Logik gehängt sind und außer Zeit, Ort und Titel keinerlei Angaben beigegeben wurden, bleiben nach dem Schock eine ganze Reihe von Fragen unbeantwortet. Etwa: Ob mit diesen Fotografien nun auch eine inhaltliche und sogar juristische Aufarbeitung der vergangenen Kriegsjahre eingeläutet ist.
Der Titel der Ausstellung bezieht sich auf die offizielle Bezeichnung, mit der unter Putin immer wieder Kriegshandlungen in der Kaukasusregion rechtfertigt wurden. „Kontraterroristische Operationen“ würden durchgeführt, in Tschetschenien wie in Inguschetien und anderswo. Gezeigt wird, wie diese Anti-Terror-Einsätze tatsächlich aussahen: Soldaten in machistischer Pose und voller Erschöpfung, Söldner, Erniedrigung Gefangener. Es gibt keinerlei erläuternde Texte, welche die Sachverhalte und Umstände, unter denen die Bilder entstanden oder die Grundidee der Ausstellung beschreiben. Der Betrachter bleibt mit seiner Deutung allein. Ist „Kontraterror“ eigentlich Terror gegen den Terror, ist die russische Armee terroristisch? Offensichtliche Kritik am Vorgehen der russischen Armee im Kaukasus wechselt mit Fotografien, die durchaus auch als Werbung für diese Armee aufgefasst sein können. Dazwischen reich geschmückte Begräbniszeremonien für russische Gefallene und allgemeine Fotografien aus dem Alltag in den Kriegsgebieten, etwa ein Brotverkaufsstand vor Häuserruinen. Getötete tschetschenische Kämpfer werden hingegen auf den Bildtiteln durchgängig aus Terroristen bezeichnet, ohne Anführungszeichen und unabhängig davon, ob sie gerade von einem russischen Soldaten geplündert werden oder auf einer Mülldeponie abgeworfen wurden. „Keine mustergültigen Kriege“ titelt die Wochenzeitung „Argumenty i Fakty“, für die Svartsevich arbeitet und vermutet, dass die Ausstellung eigentlich den falschen Titel trägt, sie hätte besser „Gesichter des Krieges“ genannt werden sollen.
Eines der grausamsten Fotos, aufgenommen 1999 in Dagestan, zu Beginn des zweiten Tschetschenienkrieges, zeigt drei tote Tschetschenen oder Dagestaner (Terroristen), die an ihren Füßen zusammengebunden und halbnackt von russischen Panzern entlang geschleift werden. „‚Säuberung‘ der Terroristen“ heißt das Bild. Während solche Aufnahmen etwa aus dem Irak zu veritablen Skandalen und dem einen oder anderen Gerichtsprozess führen, bleibt die öffentliche Reaktion hier vollständig aus. Das Gästebuch der Ausstellung aber ist voll mit Danksagungen für diese Bilder, welche erstmals offiziell in Russland zu sehen sind. Manche Kommentatoren halten den Fotografen deshalb auch für einen Volkshelden.